Stop Being Poor

Was tun, wenn die Empörungswelle gegen Geflüchtete abgeebbt ist und kein Bedarf mehr daran besteht, dass der deutsche Mob aus ganz normalen Nazis und ganz normalen Bürgern es den Invasoren mal so richtig zeigt? Schließlich wird deren Handwerk doch mittlerweile durch die Polizei, wie in Kleve, oder durch private Sicherheitsdienste, wie am UKE in Hamburg, zufriedenstellend erledigt.

Doch Langeweile ist nicht zu dulden, dementsprechend müssen die autoritären Charaktere der Volksgemeinschaft sich ein Ersatzopfer suchen, um ihre Gelüste nach Unterdrückung, legitimiert durch Politik und Presse, ausleben zu können. Wurden ab 2015 „unsere deutschen Obdachlosen“ noch als Scheinargument dafür angeführt, dass der gemeine Flüchtling doch bitte die deutschen Lande in Richtung „Heimat“ zu verlassen hätte, müssen Obdachlose nun wieder für ihre eigentlich vorgesehene Rolle herhalten: Als Abschaum der Gesellschaft durch die Stadt getrieben zu werden, um den Insassen der Marktgesellschaft zu signalisieren, dass wer nichts leistet und dann noch den normalen Bürger durch seine Existenz behelligt, dafür Konsequenzen zu fürchten hat.

Die Speerspitze der Aachener Journaille (Aachener Nachrichten) weiß in dem Artikel „Spezialteam geht aggressive Bettler an“ (15.05.2019) folgendes zu berichten:

Kaum eine Handbreit trennt den brüllenden Mund des verwahrlosten Bettlers von seinem Gegenüber, einer augenscheinlich reichlich verängstigten Passantin. ‚Haste kein Geld? Selbst schuld! Dann geh ich eben klauen!‘, keift der junge Mann, ungepflegter Bart, dreckige Kleidung.“

Er ist wieder da; ein Vertreter des asozialen und arbeitsscheuen Gesindels, das generell zur Kriminalität neigt! Wir möchten ihm zurufen: „geh klauen, denn diese Gesellschaft ist eh nicht die deine!“

„‘Eine einzige Katastrophe‘“

Ein Leser der Aachener Nachrichten klagt in einem Leserbrief sein Leid: „Ich vermisse die Ordnungsbehörden, egal ob Polizei oder Ordnungsamt, die hier etwas dagegen unternehmen.“

Neben der schmerzlich vermissten Obrigkeit ist davon auszugehen, dass typisch dummdeutsch, die guten alten Zeiten gleich mitvermisst werden. Gemeint sind die Zeiten, in denen die Landstreicher und Wegelagerer noch von zupackenden Staatsbürgern in Uniform an den Waldrand gefahren, und dort mit einem wohlgemeinten „Klaps“ daran erinnert wurden, dass ihr angestammtes Habitat nicht die schicken Innenstädte sind. Die F-Skala schlägt wieder aus in diesen Tagen.

In dieselbe Kerbe schlägt Dieter Beckers, seines Zeichens Gastronom und Sprecher des deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga): „Diese Leute belästigen Gäste, sind penetrant und impertinent, vergraulen Kundschaft und Touristen. […] Die Stadt gibt hier ein schlechtes Bild ab; die Politik muss dringend reagieren, damit das eingedämmt wird.“

Implizit ruft auch Beckers nach dem bewaffneten Arm der Interessenvertretung des Kapitals (Polizei) um einerseits die Kapitalverwertung der Latte verkaufenden, wie auch das Wohlbefinden der Latte konsumierenden Bourgeoisie zu garantieren. So wird das Schöne mit dem Nützlichen verbunden: Nach unten treten und sicherstellen, dass die Geschäfte laufen.

Rita Klösges vom städtischen Presseamt darf noch menschelnd mitteilen, dass zwar nicht alle der Obdachlosen „so sind“, jedoch auch der Teil, der zuweilen in Hauseingängen „kauert“ und „stumm auf mildtätige Gaben [hofft], zwar „wenig hübsch aussieht“, sich aber im legalen Rahmen bewegt. Sie bestätigt, dass das Sonderkommando des Ordnungsamtes in faschistoider Tradition demnächst wieder „rigoros durchgreifen“ werde, auf dass die Stadt wieder hübscher werde.

Am Ende des Artikels wird dann noch einmal klargestellt, wer die wirklich „Betroffenen“ dieser Situation sind: Leserinnen der Aachener Nachrichten, die sich nach der Besichtigung des durch die Konkurrenzgesellschaft zwangsläufig produzierten Elends nicht mehr dazu in der Lage sehen, im Bereich um Dom und Rathaus einen Kaffee einzunehmen.

 

Was bleibt dazu zu sagen?

Von einem bürgerlichen Standpunkt aus wäre zu monieren, dass doch angeblich „Die Würde des Menschen […] unantastbar [ist] (Art. 1 GG) und diese ja wohl nicht gegen das Bedürfnis nach schicker (Also nicht armer) Innenstadt oder dem nach ungestörtem Heißgetränkekonsum aufzuwiegen sei. Von einem bildungsbürgerlichen Stand wäre eventuell noch auf die allgemeine Erklärung der Menschenrechte zu rekurrieren, da doch „Alle Menschen […] frei und gleich an Würde und Rechten geboren [sind]“ (Art. 1 AEMR).

Das tun wir nicht. Wir sagen, dass es in der Zwangsveranstaltung des Kapitalismus, vom Bürgertum zur sog. „Sozialen Marktwirtschaft“ umgelogen, kein Entkommen aus dem ewigen Kampf um die nackte Existenz des Menschen gibt. Diejenigen, die diesen permanenten Kampf aller gegen Alle nicht für sich entscheiden können, landen in der Gosse. Um die Brutalität dieser aufgeklärten Barbarei zu verschleiern wird der bekannteste Vers des marktwirtschaftlichen Evangeliums eifrig nachgebetet: Wer arbeiten will, der findet auch welche! Schließlich leben „wir“ doch in einer Leistungsgesellschaft.

Stattdessen Leben wir in einer Klassengesellschaft, in deren Rahmen Gerechtigkeit nicht zu erreichen ist und die einzelnen Mitglieder, legitimiert durch die Ideologie einer falsch eingerichteten Welt, stets zur Hetzjagd auf diejenigen blasen, die aus welchen Gründen auch immer nicht dazugehören oder dazugehören sollen.

Deswegen halten wir es weder mit der Stadt der Reichen noch mit der Marktwirtschaft, sondern mit Marx, wenn wir sagen, dass es nach wie vor gilt: alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.“