Prostitution zwischen Sexualität und Gewalt – Der blinde Fleck innerhalb der Debatte zu Gewalt gegen Frauen

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Wir dokumentieren hier unseren Artikel in der Tacheles Nr.7:

In Deutschland arbeiten um die 40.000 Frauen angemeldet in der Prostitution. Die Dunkelziffer ist jedoch weit höher. Schätzungen gehen von 400.000 Frauen aus. Die meisten von ihnen arbeiten selbstständig und entscheiden sich auf einer legalen Ebene zur Arbeit als Prostituierte. Viele dieser Frauen enden jedoch mit der Zeit in konkreten Ausbeutungs- und Zwangsverhältnissen durch Zuhälter*innen und Freier. Daneben werden Frauen immer wieder auch Opfer von Menschenhandel mit dem Ziel der sexuellen Ausbeutung durch gut organisierte Tätergruppen und werden zur Zwangsprostitution gezwungen. Ob es sich nun um Zwangsprostitution oder legale, vermeintlich frei gewählte Prostitution handelt; die Basis dafür, dass Frauen sich prostituieren, bleibt dieselbe: materielle Not und Armut. Somit ist Prostitution immer mit kapitalistischen Zwängen verbunden und ohne diese nicht zu verstehen. Im Kapitalismus ist jede Lohnarbeit mit gewaltvoller Zurichtung verbunden. Jede Sozialisation im Kapitalismus zielt darauf ab, dass Menschen ihre Arbeitskraft verkaufen müssen. Doch obwohl sowohl die Lohnarbeit als auch die Prostitution beide aus den Nöten, die der Kapitalismus mit sich bringt, entspringen und beide eine gewaltvolle Grundlage haben, darf man nicht dem Trugschluss auf den Leim gehen, dass die Prostitution ein Job wie jeder andere sein kann und mit der Lohnarbeit deckungsgleich ist.

Was hat Prostitution mit Geschlecht zu tun?

Oft wird, wenn von Prostitution gesprochen wird, die geschlechtliche Komponente außen vor gelassen. Die meisten Menschen, die in der Prostitution arbeiten, sind Frauen. Die Konsumenten dieser jedoch Männer. Es gibt zwar auch andere Berufe, die innerhalb unserer Gesellschaft hauptsächlich von Frauen oder Männern ausgeführt werden. Jedoch hängt ihre Ausführung nicht am Geschlecht und es ist theoretisch beliebig austauschbar, ob die Tätigkeit von einem Mann oder einer Frau ausgeführt wird. So ist es am Ende gleichgültig, ob Haare von einer Friseurin oder einem Friseur geschnitten werden. Diese Dienstleistung des Frisierens wird zudem sowohl von Männern als auch von Frauen in Anspruch genommen. Das ist bei der Prostitution nicht der Fall. Hier stehen den meist weiblichen Prostituierten nur männliche Freier entgegen. Zudem wird sich beim Gang zur Friseurin im Gegensatz zum Gang ins Bordell eine Dienstleistung und nicht der Zugriff auf einen weiblichen Körper eingekauft. An dieser Stelle bezahlt der Freier Geld für seine Befriedigung nach seinen Wünschen und Vorstellungen. Dabei sind die Bedürfnisse der Prostituierten unerheblich für ihn. Er stellt seine Befriedigung über ihren Willen. Hierbei wird der weibliche Körper zur Projektionsfläche für männliches sexuelles Begehren – die Frau wird zur Ware. Sie untersteht konkreter männlicher Verfügung und darum ist Prostitution per se gewaltvoll. Dieser Umstand findet sich nicht nur in der Prostitution, sondern auch an anderer Stelle in unserer patriarchalen Gesellschaft. Jedoch wird sonst diese Gewalt gegen Frauen im kapitalistischen Patriarchat verschleiert und vermittelt. Innerhalb von Prostitution tritt dieser gesellschaftliche Fakt jedoch offen zum Vorschein. So sind Frauen in der Prostitution nicht nur der genannten strukturellen Gewalt ausgesetzt, sondern diese manifestiert sich auch in konkreten Gewalthandlungen durch Freier und Zuhälter*innen gegen sie. Oft wird im Zusammenhang mit Prostitution Gewalt gegen Frauen bagatellisiert. Es findet eine Aufspaltung in Heilige und Hure statt und der ehrbaren Frau wird die Prostituierte als andere Frau entgegengestellt. Frauen in der Prostitution sind jedoch nicht die andere Frau, sondern eine Frau. So wird durch diese Art der Argumentation Gewalt gegen Frauen in unserer Gesellschaft normalisiert.

Prostitution – ein Job wie jeder andere?

Selbst wenn wir die geschlechtliche Komponente außen vor lassen würden, so dürfen wir nicht vergessen, dass Arbeit im Kapitalismus immer Zwang bedeutet. Würden wir Prostitution behandeln wie einen Job, der so ist wie jeder andere, würde das bedeuten, dass beispielsweise das Jobcenter Arbeitslose in Prostitution vermitteln könnte. Dies würde dem Menschenrecht auf sexuelle Selbstbestimmung widersprechen. An dieser Stelle darf nicht der Trugschluss begangen werden, dass Emanzipation durch die Befreiung der Arbeit von Zwang erreicht werden kann. Denn über Arbeit, ähnlich wie über Geschlecht, wird sowohl Herrschaft als auch Gesellschaft im Allgemeinen vermittelt. Arbeit, ähnlich wie Sexualität, ist nichts, was außerhalb von Gesellschaft steht, sondern beides wird innerhalb von ihr konstruiert und durch Sozialisation dem Individuum vermittelt. So kann Arbeit an sich nicht befreit werden. Vielmehr müssen wir die gesellschaftlichen Verhältnisse überwinden und Arbeit, wie wir sie kennen, abschaffen. Ähnliches gilt für Sexualität. So wäre es an dieser Stelle viel wichtiger, über Sexualität im Kapitalismus zu sprechen und zu analysieren, wie diese zustande kommt und wie das menschliche Begehren durch den patriarchalen Kapitalismus zugerichtet ist. Sexuelles Begehren entsteht nicht ohne gesellschaftlichen Kontext. Bereits Marx wusste, dass es nicht die eine ursprüngliche Natur des Menschen gibt, die nur mit genug (Selbst-)Reflexion herausgefunden werden muss, sondern diese immer von der zweiten Natur, die gesellschaftlich geformt ist, überdeckt wird. Die Struktur des individuellen Begehrens ist innerhalb unserer Gesellschaft über Jahrhunderte gewachsen. Sie ist das Produkt von Unterdrückung und Herrschaft: Im konkreten Fall der Prostitution von männlicher Herrschaft und der sich daraus ergebenden Unterdrückung von Frauen. Eine Gesellschaft, die auf der Unterdrückung von Frauen fußt und somit Gewalt gegen Frauen zu ihrem Erhalt als notwendig akzeptiert, kann nur ein Begehren produzieren, was im Mindesten Gewaltförmigkeit innerhalb von Sexualität hinnimmt. So gilt es also nicht nur die Form der Unterdrückung zu verändern, sondern diese gänzlich zu überwinden.

Das Ende des Stigmas als Ende der Gewalt?

Da die Entscheidung für Prostitution einer materiellen Grundlage unterliegt und durch ideologische Elemente geformt ist, reicht es nicht, nur gegen das gesellschaftliche Stigma zu kämpfen, das auf der Prostitution lastet. Es ist natürlich wichtig und richtig, die Frauen, die in der Prostitution tätig sind, nicht als die andere Frau zu begreifen. Aber erstens lässt sich dieses Stigma nur sehr bedingt innerhalb des patriarchalen Kapitalismus auflösen, denn dieser ist innerhalb seiner bürgerlichen Ausprägung darauf angewiesen, dass die Frau im Mythos zwischen der heiligen jungfräulichen Mutter und der Hure aufgespalten wird. Zweitens reicht ein Ende des Stigmas auch nicht aus, denn es greift die Grundlage des Problems nicht an. Das würde nämlich nur eine Änderung der Wahrnehmung der Prostitution, aber nicht die damit verbundene Gewalt gegen Frauen beenden. Stattdessen muss es darum gehen, die Verhältnisse anzugreifen, die Frauen dazu zwingen, ihren Körper zu verkaufen. Wir möchten darum die Prostitution, die innerhalb des Kapitalismus stattfindet, angreifen, jedoch sind wir gleichzeitig mit allen Frauen solidarisch, die durch die gesellschaftlichen Umstände dazu gezwungen werden in der Prostitution tätig zu sein. Denn nicht die Frauen, die gezwungen sind in der Prostitution zu arbeiten, sind das Problem, sondern die Verhältnisse, die sie dazu zwingen, sowie die Zuhälter*innen und Freier, die von diesen profitieren und die Gewalt aufrechterhalten.