Wir dokumentieren hier unseren Redebeitrag, welchen wir auf der Demonstration anlässlich des Frauen*kampftages am 08.03.2019 in Aachen gehalten haben:
In Deutschland stirbt jeden dritten Tag eine Frau durch die Gewalt ihres Partners oder Expartners.
Die WHO sagt, dass das größte Gesundheitsrisiko für Frauen weltweit die erlebte Gewalt darstellt.
In Deutschland haben 40% der Frauen körperliche Gewalt erfahren. Die Dunkelziffer wird weitaus höher liegen. Der Täter stammt meist aus dem sozialen Nahumfeld der Frau. Er ist häufig ihr Expartner oder aktueller Partner. Für eine Frau ist also der gefährlichste Ort nicht etwa das dunkle Parkhaus, sondern ihr eigenes zu Hause. In Deutschland haben 42% der Frauen psychische Gewalt erfahren. Unter psychischen Formen der Gewalt versteht man unter anderem kontrollierendes Verhalten, Isolation, das Einreden von Schuldgefühlen und Demütigungen. In einer repräsentativen Studie des Bundesministeriums für Familie, Frauen und Senioren berichten Frauen, die ihre Gewalterfahrungen schildern, dass ihr Partner ihre Toilettengänge kontrollierte, ihnen verbat sich mit Freund_innen zu treffen und kontinuierlich demütigende oder beleidigende Dinge äußerte, die das Selbst der Frauen angriffen und unterdrückten. Oft werden die betroffenen Frauen für die erlebte Gewalt sogar verantwortlich gemacht. Weil diese Gewalt im vermeintlich privaten stattfindet, wird sie häufig gesellschaftlich nicht gesehen oder bagatellisiert. Die Gewalt, die Frauen tagtäglich erfahren, wird als Ehestreiterei oder häuslicher Konflikt verharmlost. Die kollektiven Erfahrungen, die hier von Frauen gemacht werden, werden individualisiert, und ihre gesellschaftliche Dimension nicht gesehen und so verschleiert.
Diese Verschleierung von Verhältnissen würde ohne eine patriarchale Struktur, die die individuelle Gewalterfahrung hervorbringt, nicht funktionieren. Der Friedensforscher Galtung prägte in seinen Ausführungen den Begriff der strukturellen Gewalt. Darunter versteht man eine Form der Gewalt, die sich in die gesellschaftlichen Verhältnisse eingeschrieben hat. Sie wird als normal hingenommen und meist von den einzelnen Individuen in der Gesellschaft nicht hinterfragt.
Anstatt die Forderung aufzustellen, dass Frauen auf gleicher Basis ausgebeutet werden sollen, wie Männer, z.B. lediglich die gleiche Bezahlung zu fordern, möchten wir vielmehr darauf aufmerksam machen, dass in unserer Gesellschaft Frauen eine doppelte Vergesellschaftung bewerkstelligen müssen. Einerseits müssen sie sich im neoliberalen Kapitalismus auf dem Arbeitsmarkt ausbeuten lassen und behaupten, anderseits sind sie für die meisten Caretätigkeiten in der Gesellschaft zuständig. Sie müssen, um es mit Marx zu sagen, produzieren und reproduzieren. Die reproduktiven Tätigkeiten werden von den meisten Frauen ohne eine Entlohnung im Privaten durchgeführt. In einer kapitalistischen Gesellschaft, wo der Wert einer Ware an ihrem Profit bemessen wird und die Arbeitskraft auch eine Ware darstellt, wird unbezahlte Arbeit immer als minderwertig wahrgenommen. Menschen setzen sich über die produzierten Waren miteinander ins Verhältnis. Dadurch werden zwischenmenschliche Beziehungen bestimmt. In so einer Gesellschaft ist ein Mensch, der weniger Profit erwirtschaftet, weniger wert. Da Carearbeit wenig bis gar keinen gesellschaftlichen Mehrwert produziert, werden auch die Personen, die sie ausüben, als weniger Wert betrachtet. Durch fehlende Entlohnung in der privaten Care Arbeit und die niedrige Entlohnung der professionellen Care Arbeiten werden Frauen so prekarisiert. Frauen verfügen daher über deutlich weniger finanzielles Kapital. Dadurch dass sie weniger im öffentlichen und produzierenden Raum agieren, kommt ihnen auch weniger soziales Kapital und kulturelles Kapital zu. Dadurch entsteht sowohl ein Abhängigkeitsverhältnis, als auch ein Machtungleichgewicht.
Strukturelle und direkte Gewalt bedingen sich gegenseitig. Die strukturelle Gewalt äußert sich in der Anfangs beschriebenen direkten Gewalt. Die direkte Gewalt wiederum stabilisiert und reproduziert die strukturelle Gewalt. Dadurch werden weiterhin Strukturen aufrecht erhalten, die Frauen von gesellschaftlicher Teilhabe ausschließen. Es werden weiterhin Gesetze geschrieben, die sich am männlichen orientieren und Frauen in ihrer Selbstbestimmung einschränken und auch der Gewalt aussetzen. Die strukturelle und personale Gewalt, die Frauen tagtäglich erfahren, wird weiterhin ins Private verbannt, individualisiert und damit verschleiert. Dass die Gewalt gegen Frauen auf allen Ebenen die Gesellschaft formt, durchdringt und strukturiert, wird so unsichtbar gemacht. Das Private muss Politisch werden. Nur so können kollektive Forderungen gestellt und durchgesetzt werden.
Uns geht es nicht nur darum, dass einzelne Männer ihr Verhalten überdenken und anpassen, uns geht es darum die bestehenden Verhältnisse zu überwinden. Denn nur durch die Überwindung des kapitalistischen Patriarchats kann eine tatsächliche Befreiung der Frau stattfinden.