Seit einigen Jahren waren wir Teil der KEW in Aachen. Wir haben mit vielen anderen politischen Gruppen zusammen Veranstaltungen organisiert, um den neuen Studierenden in Aachen eine Möglichkeit zu bieten, die politische Landschaft in Aachen kennenzulernen. Für uns war es immer wichtig dort radikal linke Inhalte zu vertreten und somit auch ein Gegengewicht gegen den Unialltag zu bieten. Dieses Jahr gibt es die KEW auch wieder, aber wir haben uns entschlossen nicht mehr Teil davon zu sein. Wir wollen hier kurz drauf eingehen warum, um damit unseren politischen Standpunkt klarzumachen.
Die KEW ist zwar ein gemeinsames Projekt von vielen Gruppen, aber sie war nie als gemeinsamer Ausdruck irgendeines politischen Standpunktes gemeint. Die beteiligten Gruppen waren/sind zu divers, als dass dies möglich gewesen wäre bzw. ist. Daher haben wir gehadert, ob wir diesen Schritt gehen sollten. Doch der Beitritt der Students for Palestine (SfP) ließ sich nicht wegignorieren. Wir wollen nicht Teil eines Zusammenhangs sein, in dem die Dämonisierung Israels vorangetrieben wird.
Spätestens seit dem 7. Oktober, dem größten antisemitisch motivierten Terrorakt seit dem Ende der Shoah, ist der Antisemitismus wieder zu einer treibenden Kraft innerhalb der Linken geworden. Nicht das er neu wäre, er hat eine lange Geschichte, aber er war, zumindest in der deutschsprachigen Linken, sehr in den Hintergrund gedrängt worden. Spätestens seit den 1980ern wurde das Thema, insbesondere in Bezug auf Antizionismus oder israelbezogenen Antisemitismus, immer wieder in der hiesigen Linken diskutiert. Während in den meisten Ländern der Welt die Palästinasolidarität, auch nach der Schwächung der (vermeintlich) linken PLO und dem Erstarken der islamistischen Gruppen, ungehemmt weiter ging, wurden in deutschen Großstädten auf Demos immer mal wieder Israel-Fahnen geschwenkt.
Die Solidarität mit jenem Staat, der gegründet wurde, um den Jüdinnen und Juden einen sicheren nationalen Hafen bieten zu können, war leider eine Seltenheit in einer (westlichen) Linken, die spätestens in den 1960ern immer mehr auf unterdrückte Völker blickte als sich dem Klassenkampf zu widmen. Die nationale Frage bzw. die nationale Selbstbestimmung war wichtiger als der Sozialismus. Auch wenn diese Hinwendung zur nationalen Frage eine nachvollziehbare Position zu dieser Zeit darstellte, so wissen wir heute, dass der Weg über die nationale Selbstbestimmung eben nicht unweigerlich auf die befreite Gesellschaft zusteuert. Er führt nur zum Recht auf Ausbeutung durch „die eigenen Leute“ statt durch jene aus Paris, London, Amsterdam etc. Diese neuen Nationen versuchten sich, wie alle Staaten, in der weltweiten Standortkonkurrenz gegen den Konkurrenten durchzusetzen.
Im Kalten Krieg war man darüber hinaus auch angehalten sich auf eine Seite zu schlagen und mit den Konsequenzen zu leben. Als Israel in die Nachkriegswelt gegründet wurde, waren schon viele Konflikte um den Zionismus geführt worden.
Bewaffnete jüdische Gruppen waren organisiert worden, um sich gegen die koloniale Kontrolle durch die Briten einerseits und gegen Angriffe durch Teile der arabischen Bevölkerung andererseits zu wehren. Die Briten wollten das Mandatsgebiet loswerden und in der UN wurde nach langen Verhandlungen die nötige 2/3 Mehrheit zur Gründung zweier Staaten zwischen Jordan und Mittelmeer erlangt. Während die zionistische Bewegung dem Kompromiss zustimmte und ihren Staat im Mai 1948 gründete, lehnte der überwiegende Teil der arabischen Bevölkerung im Nahen Osten eine Staatsgründung Palästinas an der Seite eines Staates Israels ab. Sechs Arabische Staaten erklärten dem frisch gegründeten Staat den Krieg.
Im Zuge dieser Kriegshandlungen flohen viele Menschen vor den Kämpfen der Armeen, es kam zu Vertreibungen und es waren viele Verletzte und Tote zu beklagen, die arabisch-muslimische Bevölkerung nennt dies bis heute Nakba. Israel gewann diesen Krieg aber hat seitdem nie wieder so wirklich in Frieden sein können. In den folgenden Jahrzehnten verließen fast alle Jüdinnen und Juden die muslimisch geprägten Länder, sie flohen oder migrierten nach Israel, um dem Antisemitismus in ihren alten Heimatländern zu entkommen. Mittlerweile erkennen einige arabische Staaten den jüdischen Staat an, aber insbesondere der Iran und seine Verbündeten (Hamas, Hizbollah, Huthi) führen unentwegt weiter ihren Krieg gegen Israel.
Während in den ersten Jahrzehnten noch konventionelle Kriege gegen Israel geführt wurden, ist – spätestens mit der Gründung der Hamas, einer islamistischen Gruppe, deren erklärtes Ziel die Zerstörung Israels und das Töten von Jüdinnen und Juden ist – der Terror von Kleingruppen oder EinzeltäterInnen das Hauptmittel des Konflikts geworden. Nachdem die Hamas auch den seit 2005 von Israel geräumten Gazastreifen beherrscht, sie wurden demokratisch gewählt, werden durch sie sehr regelmäßig Raketen aus dem Gebiet in den Süden Israels abgeschossen. Die Konsequenz ist für viele Israelis ein Leben in Angst und oft bleiben nicht mal Minuten, um sich im Luftschutzkeller in Sicherheit zu bringen.
Am 7. Oktober dann der große Angriff auf die israelische Bevölkerung. Über 1200 werden ermordet, 240 in den Gazastreifen entführt und Tausende verletzt. Es kommt zu Vergewaltigungen und anderen grausamen Szenen. Es trifft die Kibbuze und das Nova-Festival, also Menschen, die sich eigentlich immer für den Frieden und die Verständigung mit den Palästinensern ausgesprochen hatten. Der Schock sitzt tief und Israel beginnt kurz darauf damit, in den Gazastreifen einzumarschieren und Geiseln, auch über Verhandlungen, zu befreien. Die Linken außerhalb Israels sind zuerst auch geschockt, nur wenige lassen sich dazu herab das Ganze als legitimes Mittel gegen den Zionismus zu betiteln. Doch das ändert sich seitdem immer mehr.
Im Propaganda-Krieg um die Deutungshoheit verliert der jüdische Staat. Zweifelhafte, meist von der Hamas gestreute, falsche Informationen verbreiten sich über Social Media wie ein Lauffeuer. Darüber hinaus ist der Krieg auch in Israel stark umstritten und jede Woche gehen Tausende auf die Straße, um eine Alternative zum Einmarsch zu fordern. Auch in Aachen wurde auf unserer Kundgebung mit der aktuellen Regierung ins Gericht gegangen, das Problem ist auch nicht die ablehnende Haltung zum Krieg, sondern wie man diese begründet, mit welchen Gruppen man sich gemein macht und wem man dabei hilft.
In den westlichen Demokratien hat sich seitdem eine Bewegung von Besetzungen und Camps gebildet. Die SfP in Aachen sehen sich selbst als Teil dieser Bewegung, die vor allem in den USA, aber bei weitem nicht nur da, völlig unkritisch die Propaganda der Hamas übernimmt und sie teilweise als legitime Widerstandsgruppe verehrt. Hier werden dann die bekannten Vorwürfe erhoben: Genozid, Apartheid, Kolonialismus. Das sie sich nicht halten lassen interessiert nicht, es scheint klar, wer hier der Böse ist. Kein Wort wird verloren über den eliminatorischen Antisemitismus der Hamas, des islamischen Jihad, des Iran usw. Die ständigen Bedrohungen und Vernichtungsabsichten werden ignoriert oder nicht ernst genommen. Sie werden entweder als Ausdruck eines vermeintlich legitimen Antiimperialismus verklärt oder man hat sich im Namen eines vereinfachten Antirassismus von jedweder kritischen Haltung gegenüber den Äußerungen von Nicht-Weißen verabschiedet, da Betroffenen von Rassismus erstmal die Deutungshoheit über den Konflikt zugesprochen wird. Geschweige denn das sich über die Geschichte des Konflikts informiert wird.
Es wird ein Zeitpunkt aus dem Verlauf des Konflikts herausgenommen und dann ein moralisches Urteil über die eine Seite gesprochen. Die andere Seite kann dann auch gar nicht mehr anders als so zu agieren wie sie es tut und der Islamismus wird somit zu einer quasi natürlichen Reaktion.
Wenn Israel dann erst mal als genozidal markiert wurde, dann ist auch jedes Mittel recht. Der historische Antisemitismus funktionierte genau so, der Antisemit sah sich schon immer als die gerechte Kämpferin für die Freiheit der Völker, welche die jüdische Bedrohung ein für alle Mal beenden müsse. Es ist also vor allem ein Kampf um die Köpfe und an diesem beteiligen sich nun auch, mal bewusst oder unbewusst, die linken Unterstützer*innen der palästinensischen Sache. Die Grenzen zwischen den politischen Positionen verschwinden hinter der Solidarität für ein Volk. Der Krieg zwischen Israel und der terroristischen Hamas schafft in einer postnazistischen Gesellschaft eine Gelegenheitsstruktur, in der sich der Antisemitismus enttabuisiert entladen kann und sowohl der NS als auch die Shoah dazu gebraucht werden können, um eben diese Gelegenheitsstruktur und den eigenen enthemmten Antisemitismus zu legitimieren. (Free Gaza from german guilt)
Die SfP z.B. unterstützten, wie auch einige linke Gruppen, den Palästina-Kongress im April in Berlin, auf dem auch Salman Abu Sitta auftreten sollte. Dieser hatte im Januar noch geschrieben, dass, wenn er jünger wäre, er gerne selbst an dem Angriff am 7. Oktober teilgenommen hätte. Eigentlich sollte auch Ali Abunimah sprechen, wurde aber kurz vor dem Kongress nicht mehr als Redner aufgeführt. Er hatte kurz vorher die Angriffe des Iran auf Israel für gut befunden. Ende Juli war Rami Shaath im Aachener Camp bei den SfP zu Gast. Die von ihm mitgegründete Organisation „Urgence Palestine“ hatte auch ein paar Tage davor noch über den Tod von Hamasführer Haniyeh getrauert und ihm für seinen Einsatz gedankt. (Mittlerweile wieder auf Instagram gelöscht, Screenshot vorhanden) Shaath selbst saß 2,5 Jahre in Ägypten im Gefängnis, ihm wurde vorgeworfen Verbindungen zur Muslimbruderschaft zu haben. Darüber hinaus hat er den ägyptischen Ableger der BDS-Kampagne gegründet. Einer Kampagne zum (kulturellen) Boykott Israels. Sie verhindern Auftritte von israelischen Künstler*innen auf der ganzen Welt oder setzen Künstler*innen die in Israel auftreten wollen unter Druck. Sie stehen für die sogenannte Ein-Staaten-Lösung, also eines einheitlichen Staates, der seiner Schutzraumfunktion für Jüdinnen und Juden beraubt wurde. Das sogenannte Rückkehrrecht, welches BDS vorsieht, so sehen es auch viele linke Kritiker in Israel, bedeutet das Ende des jüdischen Staates.
Wir haben uns seit dem 07. Oktober sehr oft gegen diese Formen des Antisemitismus und Antizionismus ausgesprochen und werden das auch weiterhin tun.
Wir sehen SfP nicht als eine linke Gruppe, die Teil dieser KEW sein sollte und wir werden auch nicht so tun, als wären diese Themen eine winzige Fußnote, welche man als ein Signal der politischen linken Vielfalt ignorieren kann. Man kann nicht solidarisch sein mit den Frauen im Iran, die sich gegen die Zwangsverschleierung und die islamische Republik generell zur Wehr setzen, ohne zu bedenken, dass die Machtübernahme der Mullahs mit der Unterstützung der Kommunist*innen erfolgte. Hier kann man erahnen, wohin es führt, wenn man sich im Kampf gegen den kapitalistischen Westen auf Islamismus einlässt. Wir können auch nicht einerseits linke Kurd*innen im Nahen Osten unterstützen und ihren Kampf gegen den IS hochhalten und andererseits im Krieg gegen Israel unkritisch die Seite der Hamas und ihrer Verbündeten unterstützen. Und dies tut man, indem man ihre Propaganda teilt, ihre Narrative verbreitet und bei ihrem klaren Gut-Böse Schema mitmacht.
Daher wollen wir im Herbst eine eigene Veranstaltung zum Thema „Radikale Linke und Israel – über ein schwieriges Verhältnis“ organisieren und mit euch diskutieren. Wir werden die Veranstaltung auf unseren Kanälen ankündigen und hoffen auf eine rege Beteiligung!
Bis dahin: Gegen jeden Antisemitismus!