Was tun in diesen Zeiten? Was tun wenn der autoritäre Ruck auch durch die Linke geht und unter dem Deckmantel der vermeintlichen Palästinasolidarität auch antiautoritäre Genoss*innen sich lieber dem Kampf um Völker widmen als dem um die Emanzipation jedes und jeder Einzelnen? Wir wollen gar nicht nochmal alle Fässer aufmachen, die wir, aber auch andere, in den letzten Monaten geöffnet haben. Dass gegenüber dem AZ Aachen „Zios sind Fas[c]histen – Zios raus aus linken Räumen – Free Pales[t]ine“ gesprüht wurde, ist das Ergebnis monatelanger Auseinandersetzungen in und um das AZ. Es dreht sich, wie in vielen deutschen Großstädten, um den Nahostkonflikt, um Antisemitismus, um Antizionismus und um Rassismus. Nachdem Tags wie „Zios töten“, „Antideutsche boxen/töten“, „Zios ins Gulag“ oder rote Dreiecke auftauchten (auch an Tagen, an denen das AZ nicht der Öffentlichkeit zugänglich war, also hatten die Betreffenden Zugang per Schlüssel) und wir das auch als Bedrohung gegen uns aufgenommen haben, wurde uns gegenüber kaum bis keine Solidarität entgegengebracht. Mehr noch, da man ja „keine Bullen“ sein wollte, erübrigte sich auch die Suche nach den Antisemit*innen – sofern die genannten Inhalte von der großen Mehrheit überhaupt als antisemitisch oder gewaltvoll anerkannt wurden. Unter anderem deswegen haben wir uns entschlossen, vorerst keine Veranstaltungen mehr im AZ Aachen zu organisieren.
Doch vielleicht nochmal von vorne: im AZ Aachen erschienen schon vor ca. 2 Jahren, also Monate vor dem 07. Oktober, Tags, die auf ein geschichtsrevisionistisches Weltbild von Links deuteten. „Free Gaza from German Guilt“ war dort zu lesen; eine Parole, die einige Zeit später auch in Berlin ihre Runde machte. Viel wurde über diese Parole schon geschrieben, sie lässt sich vermutlich am besten über die Debatte verstehen, die als Historikerstreit 2.0 verhandelt wurde. Hier wird über einen vermeintlich linken Geschichtsrevisionismus debattiert, welcher sich vor allem aus den (Post-)Colonial Studies und deren Debatten um die Einordnung der Shoah in ihre theoretischen Konzepte erschließt. Meist wird hier der Antisemitismus auf einen Rassismus gegen Jüdinnen und Juden reduziert. Der idealistische und manichäische Charakter des Antisemitismus, der eine geschlossene Welterklärung darstellt und die Welt in Gut und Böse einteilt, wird verkannt. Dieser führt dazu, dass Antisemit*innen sich selbst als Freiheitskämpfer*innen verklären. Der Kampf gegen Jüdinnen und Juden wird als apokalyptischer Showdown inszeniert, an dessen Ende endlich Frieden, Freiheit und Erlösung herrschen. Für nicht wenige Linke ist der Kampf gegen den Imperialismus und den Zionismus gleichbedeutend und nur wenn dieser Kampf gewonnen würde, könne das mit dem Kommunismus/Anarchismus noch etwas werden.
Der jüdische Staat steht diesem reaktionären Emanzipationsversprechen also im Weg: Er muss beseitigt werden. So manche „Genoss*innen“ sehen im Kampf um Palästina und die Befreiung des palästinensischen Volkes den Ausgangspunkt all ihren Handelns. Und Greta Thunberg sieht in den „Kräften die Gaza bombardieren“ sogar die selben Kräfte am Werk, die die Umwelt zerstören. Ein antisemitisches Raunen geht aber nicht nur durch die ökologische Linke. Ohne freies Palästina gäbe es z.B. auch keine Befreiung der Frau. Damit werden „die Antideutschen“ oder „die Zios“ zu einem innerlinken Problem. Man wird ja eigentlich nicht mehr als Linke*r gesehen, nutzt jedoch oft genug die gleichen Räume. Die antideutschen Nestbeschmutzer wollen einfach keine Ruhe geben mit ihrer Kritik am Antisemitismus und Antizionismus. Sie müssen folglich weg. In Aachen muss Diskursiv weg, damit man die innere Einheit, die Unity der linken Szene, wiederherstellen kann. Das versucht man nicht mit öffentlicher Kritik oder Debatte, sondern mit Mobbing und Bedrohungen. In dem Wunsch nach geschlossener Einheit steckt der autoritäre Charakter, welcher keine Kritik, keine Spaltung zulassen kann und will. Eine differenzierte Linke, die sich mit (teils auch unversöhnlicher) Kritik aufeinander bezieht und die Widersprüche aushält, wird als zersetzende und zu bekämpfende Kraft gesehen.
Wir sind uns im Klaren, dass wir bei „Zios“ und „Antideutsche“ mitgemeint sind. Der Begriff „Antideutsch“ referiert schon lange nicht mehr auf eine konkrete politische Strömung innerhalb der radikalen Linken, sondern dient vor allem als Schreckgespenst und Feindmarkierung. Dabei ist es egal, dass wir (z. B. bei den eigenen Vorträgen) Hunger als Kriegswaffe verurteilen und die aktuelle, teilweise rechtsextreme israelische Regierung und ihre Kriegsführung ablehnen. Es bleibt das Raunen und das Gerücht über die Machenschaften der „Antideutschen“, welche sich, so die Vorstellung, hinter den Kulissen verschworen haben, um die gute und richtige Linke zu diskreditieren und zu unterwandern. Diese Antideutschen seien für den Nicht-Erfolg dieser „aufrechten“ und „wahren“ Linken verantwortlich. Der verschwörungsideologische Teil dieser Weltsicht ist klar: Jede Bewegung, jede Veränderung in gesellschaftlichen Zusammenhängen – auch wenn es nur die eigene bedeutungslose Szene ist – wird als Konsequenz einer Agenda von rational handelnden Akteuren im Hintergrund imaginiert.
Wir sehen in der aktuellen Gemengelage von autoritären Linken, (Post-)Kolonialen und queerfeministischen Theorien eine besorgniserregende Mischung für die Zukunft der radikalen Linken. Hier treffen Obrigkeitshörigkeit und autoritärer Charakter auf vulgär gedrehte akademische Theorien, die Betroffenen die alleinige Deutungshoheit, nicht etwa über konkrete Fälle, sondern über die Themen Rassismus und Feminismus im Allgemeinen, überträgt. Eine Mischung, die erkenntnisorientierte Debatte kaum noch zulässt, da jede nicht-geteilte Meinung als rassistisch/ sexistisch oder gar faschistisch konsequent bekämpft wird. Statt einer ehrlichen Debatte wird auf emotionale Erpressung gesetzt. Es wird geweint und geschrien, statt sich Intellektuell mit Themen und Begriffen auseinanderzusetzen. Kritisches Denken wird durch Unterwerfung ersetzt, den Betroffenen darf nicht widersprochen werden, egal in welchem Belang. Statt Genossinnenschaft wird auf klare Opferhierarchien gesetzt, welche die Mitkämpfenden auf die Position des Allys verweisen. Von dieser Position aus ergibt sich viel zu oft eine Heroisierung von Betroffenheit.
Oscar Wilde schrieb:
„Die meisten Menschen vergeuden ihr Leben durch einen ungesunden und übertriebenen Altruismus, ja, sind sogar genötigt, es zu vergeuden. Sie finden sich umgeben von scheußlicher Armut, von scheußlicher Hässlichkeit, von scheußlichem Hunger. Es ist unvermeidlich, dass ihr Gefühlsleben davon erschüttert wird. Die Empfindungen des Menschen werden rascher erregt als sein Verstand; und es ist […] sehr viel leichter, Mitgefühl für das Leiden zu hegen als Sympathie für das Denken. Daher tritt man mit bewundernswerten, jedoch irregeleiteten Absichten sehr ernsthaft und sehr sentimental an die Aufgabe heran, die sichtbaren Übel zu heilen. Aber diese Heilmittel heilen die Krankheit nicht: sie verlängern sie bloß. In der Tat sind sie ein Teil der Krankheit selbst.“
Man könnte sich die Frage stellen: Warum sich überhaupt noch als Linke*r organisieren, wenn der Aufbau von Organisationen, welche ihre Positionen in ehrlichen Debatten erarbeiten, in den Hintergrund gerät? Wenn bewusst eine angespannte und emotional aufgeladene Stimmung erzeugt wird, bei dem die Angst etwas Falsches zu sagen, eine*n Schweigen lässt? Wenn Wörter selektiv auf die Goldwaage gelegt werden, während bei an die Wände geschmierten Gewaltandrohungen mit den Schultern gezuckt wird? So sind es nicht nur die politische Dimension der Vorfälle in und um das AZ, die uns zum Weggang aus dem AZ bewogen haben. Um gegen unliebsame Gruppen und Positionen zu mobilisieren, werden Einzelpersonen, die diesen (vermeintlich) zugeordnet werden, diffamiert und diskreditiert. Gerüchte, Anschuldigungen und Vorwürfe werden in den Raum gestellt und die betreffenden Personen werden nicht einmal auf die Richtigkeit dieser Vorwürfe angesprochen, bevor sie unter der Hand weiterverbreitet werden.
Wir erwarten vom AZ Aachen im Moment nicht mehr viel. Zu genau wissen wir, wie aus markigen Redebeiträgen auf Plena erst nach Wochen, oft auch nie, Konsequenzen folgen. Dennoch sind weiterhin gute Genoss*innen im AZ aktiv, die dieser Irrationalität etwas entgegenzusetzen versuchen. Wir wünschen euch alles Gute und viel Kraft dabei! Wir erwarten aber als letzten Akt von dieser Struktur, die wir über ein Jahrzehnt maßgeblich mitgestaltet haben, eine öffentlich Stellungnahme zum grassierenden Antisemitismus/Antizionismus in ihren Räumen. Wie wollt ihr in Zukunft sicherstellen, dass diese Gewalt verhindert werden kann?