Dieser Artikel soll einen Überblick über die Geschichte der BRD geben und den Erfolg der AfD aus dem Aufstieg des sogenannten Neoliberalismus und der Krisenhaftigkeit der kapitalistischen Gesellschaft skizzieren.
Durch den Wiederaufbau nach dem zweiten Weltkrieg begann eine nie dagewesene Wirtschaftswunderzeit, angetrieben vom Kalten Krieg. Über diesen Zeitraum von vielleicht 20 Jahren hinweg wurde die Arbeiterklasse vollständig in die bürgerliche Gesellschaft integriert. Dies gelang, weil ein gewisser Reichtum – ein eigener VW und ein kleines Haus – nun auch Facharbeitern zugänglich wurde. Diese Entwicklung wurde ermöglicht durch industrielle Produktion in einem Maßstab, der nahezu Vollbeschäftigung ermöglichte. Diese Massenproduktion neuer Waren und die wesentlich bessere Bezahlung, durch hohen Organisationsgrad im industriellen Sektor, machten auch den Massenabsatz der produzierten Waren möglich, wie notwendig für dem Erfolg dieses Modells. Massenkonsum wurde mit dem steigenden Wohlstand in den westlichen Industrienationen zum Alltag. Im antikommunistischen Frontstaat BRD wurde so die deutsche Arbeiterklasse – mit der seit den 1930ern überhaupt nur ein nationales Erwachen denkbar war – gegen jegliche Form sozialistischer Experimente immunisiert. Kapitalismus auf der Siegesstraße.
Flankiert wurde die fordistische Kompromissformel zwischen Kapital und Arbeit – politische Stabilisierung durch ökonomische Teilhabe, durch eine „keynsianische“ – also auf Investition in Wirtschaft und Sozialstaat ausgerichtete – Politik, die eine relativ solide soziale Absicherung ermöglichte, welche von Sozialdemokratie und Gewerkschaften weiter vorangetrieben wurde. Dazu gehörten eindrucksvolle Errungenschaften wie z.B. die Arbeitszeitverkürzung: In den Kernsektoren von Industrie und Verwaltung wurde die Wochenarbeitszeit auf zunächst fünf Tage und zeitweise sogar auf 35 Stunden reduziert.
Alte neue Antworten auf Wirtschaftskrisen
Nach mehreren Krisen der Wertschöpfung, wurde das Wirtschaftswunder in seinen Grundlagen, den niedrigen Produktions- und Energiekosten bei hohem Absatz, erschüttert. Die Antwort der bürgerlichen Politik: „These is no alternative“. Geprägt von Thatcher wurde die „Alternativlosigkeit“ das informelle Motto einer sich auf die „Sachzwänge“ der Weltmarktkonkurrenz berufenden Politik: der Privatisierung und des Sozialabbaus. Der Klassenkompromiss von einst wurde aufgekündigt, Wohlstand wieder stärker von Arm nach Reich umverteilt und der Sozialstaat im Sinne des „Nachtwächterstaates“ umgestaltet. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, wurde der Kapitalismus, in seiner neoliberalen Ausformung, zum Ende der Geschichte erklärt. Die neoliberale Weltanschauung ist zur Jahrtausendwende in zweiter Generation von der Sozialdemokratie Europas auf Kosten vieler Errungenschaften eben dieser Repräsentanten des Sozialstaates vorangetrieben worden.
Der Umstand, dass sich seit den 1980er Jahren nicht nur in Deutschland, sondern überall in Europa sowohl Mitte-Rechts- als auch Mitte-Linksregierungen am neoliberalen Sozialabbau beteiligt haben, kann als politisch-ökonomischer Hintergrund für den, seit der Finanzkrise von 2008 noch beschleunigten, Aufstieg der extremen Rechten verstanden werden.
Wir gegen die da Oben
Seither inszenieren sich als Rechtspopulisten auftretende Faschisten weltweit als einzige echte Alternative zum herrschenden Block und operieren mit der falschen Dichotomie von einem „globalistischen“ Neoliberalismus und einer „nationalen“ Opposition, die im Namen vermeintlicher „Volksnähe“ inzwischen freilich immer öfter faschistische Krisenlösungen anbietet. Eine weitere Dimension dieses Erfolgs ist der Einfluss neoliberaler Austeritätspolitik. Immerhin belegen Studien zum Zusammenhang zwischen Sozialabbau und Wahlverhalten in Europa, dass derartige Sparmaßnahmen durchaus mit Erfolgen der extremen Rechten korrelieren. Insbesondere bei Beschäftigten mit formal geringer Qualifikation, sowie in wirtschaftlichen Krisenregionen kann der – häufig genug berechtigte – Eindruck entstehen, die wirtschaftliche Zukunft der „Abgehängten“ sei für die an Austeritätsmaßnahmen festhaltende Politik der Herrschenden nicht weiter von Interesse. Offenkundig stärkt ein solches Empfinden die Bereitschaft für jene autoritären Krisenlösungen, die sich seit längerem beobachten lässt.
Nationalsozial oder neoliberal?
Und die Krisenlösung der AfD ist in erster Linie darauf beschränkt, der angeblichen Einwanderung in den deutschen Sozialstaat mit Grenzschließungen, Abschiebungen und Anti-EU-Politik Herr zu werden. „Unser Volk zuerst“ ist die rechte Parole der Stunde. Sichere Grenzen und härtere Strafverfolgung gibt die AfD einfach als Allheilmittel für sozialen Frage aus und lässt an die Stelle des Gegensatzes zwischen unten und oben jenen zwischen „innen“ und „außen“, Einheimischen und Zugewanderten, treten. Mithilfe einer solch nationalistischen Verkehrung der sozialen Frage definiert sich die extrem rechte „Volksgemeinschaft“ durch den Ausschluss von „Fremden“ (Geflüchtete) und „Volksverrätern“. Der offen propagierte Verteilungskampf gegen migrantisierte Menschen ist ein Versuch, soziale Fragen nach nationaler Herkunft zu beantworten und macht den Modus einer Politik aus, die ihren im Kern prokapitalistischen Kurs mit einer imaginierten Rückkehr zur unheimlich heimeligen „Volksgemeinschaft“ bemäntelt – ohne Ausländer, ohne Linke und ohne Gendersternchen. Unterhalb des gemeinsamen Bekenntnisses zur nationalen Gemeinschaft koexistiert in der sozialpolitischen Programmatik der AfD allerdings diese „nationalsolidarischen“ Linie mit dem neoliberalen Sozialchauvinismus, für den der brutale Konkurrenzkampf um ein Fortkommen in dieser Gesellschaft immer noch das Idealbild sind und dass übrigens auch die außenpolitischen Visionen wie jeher prägt.
Die Partei als Ganzes bewegt sich ambivalent zwischen diesen beiden Polen. Diese Ambivalenz ist für die Formulierung einer „Alternative“ zu den Herrschenden sicherlich kein Hindernis, sondern eher ein Vorteil.
Kapitalismus oder Demokratie
„Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen“ – diese berühmte Sentenz Max Horkheimers aus dem Jahr 1939 wird zwar auch heute noch gelegentlich zitiert, erscheint sie doch vor dem weltweiten faschistischen Siegeszug aktueller denn je. Diese reaktionären Machtantritte greifen Sozialstaatliche Schutzmechanismen und liberale Freiheitsrechte gleichermaßen an, überall kombiniert mit dem Kampf gegen Migration. Die AfD ist fester Bestandteil dieses Rollbacks, der sich nicht gegen, sondern mit dem neoliberalen Kapitalismus formiert – spätestens die USA zeigen, wie lange unternehmerische Lippenbekenntnisse gegen Rechts und für Diversität halten.
Vor dem Hintergrund dieser politischen Katastrophe wäre gleich an eine ganze Reihe bewährter Einsichten in die Widersprüche, Halbheiten und Blindstellen liberaler Gegnerschaft „gegen rechts“ zu erinnern, die auch nur ein Verstehen des Phänomens AfD massiv erschweren und einen effektiven Kampf gegen den Faschismus von dieser Seite verunmöglichen.
Erstens sind kapitalistische Konzerne beim Geschäftemachen nicht etwa auf politische Demokratie angewiesen, sondern kommen nötigenfalls auch ganz gut ohne sie aus – einen anderen Schluss lassen bereits die von langen Blutspuren durchzogenen Geschichten von Firmen wie Bayer, Volkswagen, ThyssenKrupp und Deutscher Bank einfach nicht zu.
Mit der Demokratie hat es zweitens nicht erst nach der Errichtung einer faschistischen Diktatur ein Ende, sondern bereits heute in jedem kapitalistischen Betrieb. Über Kapital und Arbeit entscheiden nicht die Beschäftigten, sondern Profitinteressen. Chefs werden allenfalls von Aktionären gewählt und bereits einfache Widerworte gegenüber Vorgesetzten können den Job kosten.
Systeme des Ein- wie des Mehrparteienkapitalismus haben drittens nicht nur ihre scharfe Frontstellung gegen sozialistisches Eigentum gemeinsam, beide zeichnen sich auch durch die Unvermeidlichkeit sozioökonomischer Krisenprozesse, ein hohes Maß an sozialer Ungleichheit sowie durch die Tendenz zur Abwälzung von Krisenlasten nach unten aus. Viertens droht die kapitalistische Ideologie individueller „Leistung“ – Erwerbslose, „Wirtschaftsflüchtlinge“, „unwürdige“ Arme oder Menschen mit Behinderung haben davon zu erzählen – permanent in symbolische Abwertung und (zumindest latent rassistisches) Nützlichkeitsdenken umzuschlagen.
Fünftens gibt es neben der faschistischen Menschenfeindlichkeit des Ausnahmezustands auch eine kapitalistische des Normalzustands. Hiervon zeugen neben den Härten von Fabrikregime und Arbeitsdisziplin sowie den Ausbeutungsbeziehungen in der gesamten Lieferkette auch die vom kapitalistischen Wachstumsimperativ ausgehenden Gefahren für die natürlichen Lebensgrundlagen.
Sechstens schließlich legt die kapitalistisch (re-)produzierte Spaltung der Welt in Arm und Reich einen mehr oder weniger gewaltförmigen Ausschluss der Habenichtse von den Wohlstandsinseln so nahe, dass das Weltsystem bereits heute von Mauern und Stacheldrahtverhauen durchzogen ist.
Wenn „die Wirtschaft“ anders lautender Beteuerungen und Manager-Bekenntnisse zum Trotz also ganz offensichtlich auf Demokratie auch verzichten kann und damit ihren Funktionsprinzipien nach als „rechtsoffen“ erkennbar wird, müsste „die Demokratie“ konsequenterweise wohl auch auf den Kapitalismus verzichten können. Einsichten in die Notwendigkeit einer sozialen wie ökonomischen Erweiterung der Demokratie, dürften im Kampf gegen die faschistischen Demokratiefeinde jedenfalls weiterführen als die dem „kleineren Übel“ anhängenden Apologien des bürgerlich-liberalen Status quo. Eine Vorstellung einer Zukunft, in der ein gutes Leben für alle möglich ist, gilt es, der realen Dystopie entgegen, denkbar zu machen.
Der Text wurde zu erst in der Tacheles veröffentlicht.