Deutsche besoffen vor Glück – keinen Blick mehr zurück.

Ab Juni 2014 beginnt in Brasilien die FIFA Fußballweltmeisterschaft. In Deutschland wird in diesem Zeitraum wieder das WM-Spektakel zelebriert und die deutsche Nation feiert sich selbst. Seit der Fußballweltmeisterschaft 2006, die in Deutschland stattfand, strömen Menschenmassen in die Stadien, Kneipen und auf die öffentlichen Plätze im Land, um mit möglichst vielen Gleichgesinnten die Zugehörigkeit zu Volk und Nation nach außen zu tragen.
Dabei scheinen nationale Insignien eine große Rolle zu spielen. Gerne schmückt man sich, sein Auto oder sein Haus mit Deutschlandfahnen, schminkt sich mit den deutschen Farben und der ein oder andere greift sogar auf die Fahnen aus dem Kaiserreich oder dem Nationalsozialismus zurück. Dabei stellt sich die Frage, warum die Farben der deutschen Nation präsentiert werden und nicht das Logo des Deutschen-Fußball-Bundes, dessen Spielerauswahl bei der Weltmeisterschaft teilnimmt.
Gründe hierfür sind im Konstrukt des Nationalismus und der Nation zu finden. Hierfür sind drei wesentliche Bestandteile charakteristisch: die Grenzziehung einer Nation, aus heutiger Sicht erschaffene Tradition von Volk und Nation und die Identifikation der Nation mit den einzelnen Bestandteilen, die als natürlich anerkannt werden und in einer biologischen Sonderstellung des eigenen Volkes resultieren.
Die Grenzen eines Landes sind historisch gewachsen und von den jeweils Herrschenden immer wieder neu festgelegt worden. Dabei werden die Menschen, die in diesem Bereich wohnen zu einer Nation konstruiert, um sich kurz darauf selber dem nationalen Geist zu unterwerfen. Gleichzeitig werden auch alte Grenzen, die heute keinen Bestand mehr haben, oft immer noch beansprucht. Dabei wird der Staat also nicht vorrangig als Organisationsinstitution betrachtet, sondern als Vollstecker der vereinheitlichten „Volksgemeinschaft“ innerhalb dieser Grenzen. Der Staatsapparat überwacht die Grenzen, um sich gegen Migrant_innen abzuschotten. Bereits an dieser Stelle findet eine Abgrenzung von Menschen statt: Der Menschen, die innerhalb dieser Grenzen leben, und derer, die sich außerhalb dieser Grenzen befinden.
Die Konstruktion von Nation wird durch die Überlieferung von Erzählungen und Handlungsweisen, die die eigene Nation positiv beschreiben, verstärkt. Das führt zu einer Charakterisierung der Bevölkerungsgruppe innerhalb der Grenzen, die sich von den anderen Nationen unterscheidet. Den Deutschen werden in diesem Fall positive Traditionen und Tugenden zugeschrieben und den Menschen, die nicht als deutsche wahrgenommen werden, zu Teilen abgesprochen. Auf diese Weise wird ein nationaler Charakter geschaffen, der den Deutschen Pünktlichkeit,Ordentlichkeit, Sauberkeit und Fleiß zuspricht.
Von diesem Punkt aus, definieren und identifizieren sich die Menschen der jeweiligen Nation mit den Ihnen zugeschriebenen Charaktereigenschaften und Tugenden. Es wird ein „Wir“ konstruiert, dem ein „Anderes“ gegenübergestellt wird, wobei das „Wir“ aufgewertet und das „Andere“ abgewertet wird. Als Konsequenz daraus, wird entweder von anderen Bevölkerungs- oder Meinungsgruppen eine Assimilation an die eigene gesellschaftliche Norm erwartet oder sie werden aufgrund Ihres „Anders-Seins“ von vornherein als nicht Anpassungsfähig begriffen.
Gerade in Deutschland definiert genau dieses Konstrukt und die beschriebenen Charaktereigenschaften das Verständnis der Nationalität, was eine Besonderheit des deutschen Nationalismus darstellt. Man beruft sich nicht wie in anderen Ländern beispielsweise auf positive historische Ereignisse, wie in den USA die Errichtung einer Einwanderungsgesellschaft oder wie in Frankreich wenigstens auf die demokratische Revolution im 18 Jahrhundert, ohne den dortigen Patriotismus aufwerten zu wollen.
Weitergehend ist es nicht verwunderlich, dass die Begründer_innen der „Rassenlehre“ im 18. und 19. Jahrhundert zu großen Teilen aus Deutschland kamen. Immanuel Kant, Johann Friedrich Blumenbach und Richard Wagners Frau, Cosima Wagner sind nur einige Beispiele für die Pioniere der „Rassenlehre“ in dieser Zeit.
„Rassetheorien“ und der daraus resultierende Rassismus sind nicht, wie häufig behauptet, mit der Befreiung Auschwitz verschwunden, sie haben sich vielmehr ins Private zurückgezogen oder leben offen in sozial-angepasster Form weiter.
Auf dieser Grundlage konnte Thilo Sarrazin 2010 mit seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ positive Zustimmung erhalten. Sarrazin typisiert in seinem Buch Menschengruppen mit Hilfe eines Kulturbegriffs und baut mit vermeintlich wissenschaftlichen Quellen einen von Natur aus gegebenen biologischen Rassismus auf.
Der biologische Rassismus Sarrazins findet in den Eigenschaften des deutschen Patriotismus einen guten Nährboden und kann nur durch diesen Patriotismus existieren.
Die Charakterbeschreibung des „Deutschen“ als vermeintlich besserer Mensch, weil fleißiger, pünktlicher, sauberer und ordentlicher, geben die perfekte Grundlage hierfür ab.
Ein weiteres Beispiel, welches belegt, dass der deutsche Patriotismus nachweislich rassistische Vorurteile und Einstellungen innerhalb der Gesellschaft vorantreibt, sind die Gründung der Parteien „Pro NRW“ und „Die Freiheit“ in den Jahren 2007 und 2010, sowie der Alternative für Deutschland im Jahr 2013. Die Gründungen sind durchaus im Zusammenhang mit dem neuen Nationalgefühl der Deutschen zu sehen. Unter anderem durch die Weltmeisterschaft 2006 im eigenen Land, sowie die durchaus erfolgreichen Turniere der DFB-Equipe 2008, 2010 und 2012 konnten sich neue patriotische Tendenzen bilden, da sich Menschen wieder als Teil einer homogenen Gruppe bzw. eines homogenen Volkes verstanden, die einer bestimmten Charakterisierung entsprechen konnten.
Unterstreichen tut dies eine Studie des Instituts für Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld (2012), welches herausgefunden hat, dass die Fremdenfeindlichkeit nach der WM 2006 nicht gesunken ist und der Nationalismus spürbar zugenommen hat.
Hieraus resultiert auch das Verlangen der Deutschen nach einem Ende der „Erinnerungskultur“ der Nachkriegszeit, da die Aufarbeitung der Verbrechen Deutschlands als abgeschlossen gelten, frei nach dem Bild der eigenen rein gewaschenen „weißen Weste“.
Doch diese Entwicklung wird von der etablierten Politik und Wirtschaft nicht kritisch beäugt, sondern viel mehr für ihre Zwecke genutzt. Das Resultat ist ein Gemeinschaftsgefühl innerhalb der Nation, welches den aktuell Herrschenden dazu Interessenkonflikte innerhalb des kapitalistischen Systems zu überspielen. Persönliche Bedürfnisse werden hinter das Interesse der Nation gestellt, die in der Konkurrenz zu anderen Nationen bestehen muss.
Gerade in Krisenzeiten erweist sich ein Event wie die WM als Werkzeug volkswirtschaftliche und politische Negativschlagzeilen in den Schatten und das Gemeinschaftsgefühl der Nation in den Vordergrund zu stellen. Beispielsweise wurde während der Fußballweltmeisterschaft 2006 die Mehrwertsteuer von 16% auf 19% gehoben. Es entsteht der Eindruck, dass dieser besonders günstige Zeitpunkt mit Bedacht ausgewählt wurde, um schwierige Entscheidungen an der Öffentlichkeit vorbei durchzusetzen.
Das kann nur schwer verwundern, da während des Events Weltmeisterschaft die nationale Öffentlichkeit zu großen Teilen auf das Fußballturnier fokussiert ist und die Massen auf den Plätzen Deutschlands Ihrem Party-Nationalismus freien Lauf lassen.
Am Ende werden sich vor allem Faschist_innen, Neonazis und Rassist_innen über die Massenveranstaltungen zur Weltmeisterschaft, das Singen der eigenen Hymne, natürlich der ersten Strophe, das schwenken der eigenen Fahne, gerne auch mal in der Farbkombination vor 1946 und das gesteigerte Heimatgefühl der Deutschen freuen. Sie sind diejenigen die diese Zeit nutzen können, um Ihre Ideologie zu verbreiten. Der bürgerliche „man wird ja wohl noch sagen dürfen“ – Patriotismus kann sich selbstverständlich von faschistischen Tendenzen abgrenzen, jedoch wird sich „die bürgerliche Mitte“ darüber klar werden müssen, dass der eigene deutsche Patriotismus immer Grundlage sein wird für faschistische und rassistische Ideologien und Tendenzen und diese auch immer, zu mindestens im Ansatz, in „der bürgerlichen Mitte“ selber zu finden sind.