Apokalyptisches Denken in der Umweltbewegung

Dieser Artikel wurde in der vierten Ausgabe der ‚Tacheles‘ veröffentlicht.

In der Umweltbewegung treibt sich nicht erst seit gestern eine Geisteshaltung herum, welche „den Untergang“ „der Menschheit“ als Ausgangspunkt ihres Denkens und vor allem Handelns begreift. Vor allem die Politsekte Extinction Rebellion spielt gerne mit dramatischen Bildern, in denen das Klima zu Grabe getragen wird oder in einheitlichen Gewändern schweigend durch die Straßen gezogen wird. Diese Vorstellungen spiel(t)en auch in der Friedensbewegung und Bewegungen gegen Atomkraft und nukleare Bewaffnung eine Rolle. Nichtsdestotrotz ist dieses Denken keinesfalls auf die Neuzeit beschränkt. Es hat seine Ursprünge im eschatologischen Denken, also einem Denken, das auf einer Erlösung innerhalb der monotheistischen Religionen aufbaut. Sie alle entstanden im und um den sogenannten Nahen Osten und entwickelten sich aus und in Abgrenzung zur jeweils anderen Variante des Gottesglaubens. Das apokalyptische Denken war hierbei meist der Motor der Veränderung von religiösen Vorstellungen. Dieses trieb die Gläubigen zu neuen Interpretationen und vor allem zu neuen Machtkämpfen um die richtige Religion, die richtigen Praktiken etc. Nun ist dieses Denken bis heute viral und findet sich z.B. im christlichen Zionismus genauso wie im Jihadismus. Da Selbstmord meist Sünde ist, aber das Leben im Diesseits nicht so prickelnd, sehnt man sich den Märtyrertod im Heiligen Krieg oder eben das schnelle Kommen der Endschlacht in Megiddo herbei. Man hängt dann entweder mit seinen 72 Jungfrauen auf Ewigkeit im Paradies ab oder kann sich endlich der 1000-jährigen Herrschaft von Jesus unterwerfen, Paradies auf Erden und so. So weit, so gut, so dämlich.

Nun unterscheidet sich das apokalyptische Denken innerhalb der Umweltbewegung davon in dem Punkt, dass, zumindest offiziell, niemand den Messias wieder erwartet. Die ständige Angst vor dem Untergang wird hier nicht religiös und vor allem auf Erlösung hinauslaufend gedacht und gepredigt, sondern nur zur Mobilmachung genutzt, um das Bestehende (Kapitalverhältnis) zu schützen – #GreenCapitalism. Dies passiert auch, weil das Kapitalverhältnis eher als Herrschaft alter-weißer-Cis-Männer gesehen wird als es als Verhältnis, Beziehung und Dynamik zwischen Menschen zu begreifen.

Die Apokalypse „ist die erste Revolutionstheorie. Daß die Akteure dieser Revolution andere als Gott, seine Engel und Heerscharen sein könnten, liegt noch außerhalb des Geschichtskreises. Menschen figurieren als ihre Objekte und sind bestenfalls ihre wissenden Zuschauer: eben Apokalyptiker.“ (1) Während es in der religiös begründeten ersten „Revolutionstheorie“ noch eine Heilserwartung gab, ist diese in heutigen Apokalypsevorstellungen verloren gegangen. Im bürgerlichen Denken dieser Couleur ist die „Tat“ der Revolution, die Erlösung, mit einem Ändern des Konsumverhaltens erschöpft. Daher wird immer wieder an die Moral des oder der Einzelnen appelliert. Die Vergesellschaftung an sich wird aber nicht in Frage gestellt. Die einfache Antwort auf die Tatsache des Klimakillers Fleisch ist dann z.B., dass auch Fleisch teurer werden muss. Ja, das würde vermutlich zu weniger Fleischkonsum führen, was in der Klassengesellschaft aber nur bestimmte Menschen betrifft, da Fleisch zur Luxusware würde. Für die oberen grünen Klassen würde sich nicht viel ändern, stehen sie doch mit Porsche SUV vorm Bioladen und lassen sich ihr Fleisch auch jetzt schon gerne etwas kosten. Man schmeckt die Qualen der Tiere ja auch irgendwie und Moral muss man sich leisten können.

Das Problem der Möglichkeit zur Vernichtung von Leben durch Atombomben oder dem Ende der Zivilisation durch Destabilisierung in Folge der Klimakatastrophe ist jedoch ein reales Problem dem nicht durch ein einfaches „Weiter so!“ begegnet werden kann.

Die Katastrophe wird bei der Umweltbewegung immer nur in die Zukunft verlagert, das Bestehende wird zur absoluten Gegenwart. Das sieht man vor allem in dieser ständigen, sich oft auch als besonders radikal und antikapitalistisch gebenden, Konsumkritik. Die Radikalität ist dabei aber nur Habitus. Der Streit darüber, auf was der Einzelne jetzt zu verzichten hat, welche Ernährungsform die richtige ist oder wie man besonders grün konsumieren kann ist, genau wie das Gegenteil, sich das neueste und beste zu kaufen, Ausdruck des falschen Bewusstseins, sowohl individuelles Glück als auch das Seelenheil der Gesellschaft nur an dem Konsum festzumachen. Sich selbst nur noch als Konsument*in zu begreifen. Die Befreiung der Menschen, von den Verhältnissen, in denen er „ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“ (2), ist in diesem Denken nicht möglich.

Walter Benjamin erschien die Geschichte anders. Er wendet sich vor dem Eindruck des Nationalsozialismus von dem Fortschrittsdenken der Sozialdemokrat*innen und Sozialist*innen ab. So schrieb er in seinen Thesen „Über den Begriff der Geschichte“ über das Bild Angelus Novus von Paul Klee: „Der Engel der Geschichte muss so aussehen. Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert.“ Diese Geschichtsphilosophie steht im Gegensatz zu den neuen Apokalypsevorstellungen. Die Katastrophe ist nicht etwas, dass in der Zukunft kommt, sondern die ganze bisherige Geschichte ist eine. Benjamins Geschichtsbegriff wendet sich also einerseits gegen ein „weiter so“ und Niemals-zurück-blicken aber auch gegen eine Vorstellung von Geschichte, die kein erlösendes Ende hat, also eine befreite Gesellschaft. Es geht also darum die Katastrophe in der Normalität zu begreifen und nicht auf eine Apokalypse zu warten.

Um eine Praxis zu ermöglichen, die nicht nur eine fortschreitende ökologische Krise beenden kann, sondern auch die gesellschaftlichen Grundlagen zerstört, welche zu diesem Punkt geführt haben, muss diese Reflexion auf Geschichte ernst genommen werden. Diese radikale Kritik der Gesellschaft müsste die Praxis zur Abschaffung des Kapitalismus reflexiv in sich aufnehmen. Und auch umgekehrt müsste die Praxis durch die Kritik berichtigt werden. Nur so kann das dialektische Verhältnis von Theorie und Praxis im Fortschreiten der Befreiung überwunden werden und eine Gesellschaft entstehen, in der Menschen nicht diesen Verhältnissen untergeordnet sind und ihnen hilflos gegenüberstehen. Diesen Aufbruch nannte Marx einmal den Kommunismus. Also nicht ein Himmelreich auf Erden, sondern den Beginn der Geschichte der Menschen.

(1) Christoph Türcke, Religionswende: eine Dogmatik in Bruckstücken, 1995

(2) MEW 1 S.385