Redebeitrag Frauen*kampftag 2021: „We can’t believe we still have to protest this shit!“

Nachfolgend dokumentieren wir unseren Redebeitrag bei der Kundgebung zum Frauen*kampftag 2021 in Aachen:

„We can’t believe we still have to protest this shit!“

Seit 110 Jahren gibt es den Frauenkampftag, seit 100 Jahren wird er am 8. März ausgetragen. Und mindestens genauso lange müssen Frauen für ihr Recht auf Selbstbestimmung auf die Straße gehen und Schwangerschaftsabbrüche sind nach wie vor unter Strafe gestellt. Bis heute ist der Kampf für eine Selbstbestimmung und für sichere Abtreibungen aktuell. So wurde erst vor wenigen Monaten die Medizinerin Kristina Hänel in letzter Instanz dafür verurteilt, für Schwangerschaftsabbrüche „geworben“ zu haben und in Polen konnte unter der fundamentalchristlichen Regierung eine Gesetzesverschärfung etabliert werden, mit der Abtreibungen nicht einmal mehr erlaubt sind, wenn das potentielle Kind nach der Geburt nicht lebensfähig ist. Wir erleben also, dass in den letzten 100 Jahren, Frauen immer noch das Selbstbestimmungsrecht über ihren Körper von Staaten weltweit aberkannt wird. Das war und ist bis zum heutigen Tag nicht hinnehmbar!

Eine kurze historische Einordnung der Thematik: Seit der Mensch sich in Gesellschaften zusammenschließt, gibt es Schwangerschaftsabbrüche. Das ist eine einfache Wahrheit, nicht zu jeder Zeit im Leben von Frauen macht es Sinn für sie, ein Kind zu bekommen. Armut, Hunger, Arbeit, Perspektivlosigkeit, schon zu viele Kinder, die Gründe sind so zahlreich wie legitim. Doch das Verbot eben dieser Schwangerschaftsabbrüche ist ähnlich alt. Religöse und andere irrationale Ansichten darüber, wie ein Kind im Mutterleib zustande kommt, waren dafür genauso maßgeblich wie die direkte patriachale Kontrolle des Vaters oder Familienoberhauptes über den Frauenkörper und die Entscheidung, ob die Frau das Kind austrägt oder eben nicht.

Zeitsprung in die Moderne. Im jungen Deutschen Kaiserreich des Jahres 1871 ist es illegal und mit 5 Jahren Zuchthaus bestraft, Schwangerschaften abzubrechen. Die aufkommende Bewegung der Werktätigen zu der die proletarische Frauenbewegung einen nicht zu unterschätzenden Teil beitrug, agitierte Zeit ihrer Existenz gegen die Paragraphen 218 – 220 StGB. Gerade die proletarischen Feministinnen waren von diesen Gesetzen selbst härter betroffen, da hier oft Laien die illegalen Abbrüche durchführten. Sowohl im Kaiserreich als auch in der Weimarer Republik war der Widerstand gegen das Verbot daher stark, sei als Teil des Gebärstreiks 1913 oder in mehreren Versuchen von USPD, KPD und SPD, die Gesetze der Weimarer Republik auf parlamentarischem Wege abzuschaffen. Wir wollen es mit dieser Tradition halten und Druck auf der Straße aufbauen, gegen die staatliche Kontrolle über den weiblichen Körper vorgehen und endlich das Ziel erreichen für das seit mehr als 100 Jahren nicht nur am 8. März gekämpft wird: die ersatzlose Streichung jeglichen Abtreibungsverbotes!

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde Abtreibung im Sinne der Erhaltung des Volkskörpers grundsätzlich verboten. Statt einem vermeintlichen Lebensrecht ungeborener Kinder als Grundlage für das Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen, wurde die Todesstrafe für „gewerbsmäßiges Abtreiben“ verhängt, weil die „Lebenskraft des Volkes“ durch Abtreibungen in Gefahr gesehen wurde. Folgerichtig waren Abtreibungen aber dann auch nur verboten, wo auch Nachkommen für Deutschland erwünscht waren. Ausgenommen von dem Verbot waren in diesem Sinne Juden, Sinti und Roma, sogenannte Asoziale, usw., die ganz im Gegenteil zur „Geburtenkontrolle“ gezwungen wurden. Frauenkörper waren der nationalsozialistischen Rassenpolitik vollständig unterworfen.

Nach 1945 veränderte sich erschreckend wenig. So sind die derzeitigen Paragraphen 218 und 219a des Strafgesetzbuches mit nur wenigen Reformen bzw. Umformulierungen praktisch von den Nazis übernommen worden. Wollte man zumindest vordergründig mit Rassenidelogie und Volkslehre nichts mehr gemein haben, war die Kontrolle über Frauenkörper im kalten Krieg gegen den Ostblock in der BRD gern gesehen – Nazi-Paragraph hin oder her.

Und so sind auch heute noch Abtreibungen in Deutschland faktisch verboten und nur in „besonderen Fällen“ straffrei – von der Verfolgung wird gnädigerweise abgesehen. Hinzu kommen bürokratische Hürden, die Frauen eine Abtreibung weiter erschweren. Neben einer vorgeschriebenen Bedenkzeit von 3 Tagen ist außerdem erst einmal ein Beratungsgespräch notwendig, welches – ebenfalls gesetzlich vorgeschrieben – dazu dienen soll die Frau zu der Weiterführung der Schwangerschaft zu bringen. Ärzt*innen dürfen nicht mit Schwangerschaftsabbrüchen „werben“, was defacto bedeutet, dass sie keine Informationen zu den Verfahren veröffentlichen dürfen. Dass diese Gesetzgebung nicht nur ‚auf dem Papier‘ existiert, sondern weitreichende Konsequenzen hat wird dabei immer wieder deutlich: Erst kürzlich wurde deshalb nach einem mehrjährigen Verfahren die Frauenärztin Kristina Hänel aus Gießen wegen Verstoß gegen das Werbungsverbot bestraft, weil sie auf ihrer Webseite darüber informierte, dass ihre Praxis Schwangerschaftsabbrüche anbietet.

Die Gesetze, die Abtreibungen erschweren und in zahlreichen Ländern gänzlich verbieten sind dabei nicht im luftleeren Raum zusehen, sondern haben einen konkreten Zweck. Entgegen der Behauptungen es ginge um den Schutz von Leben geht es nämlich tatsächlich um die Beschneidung der Rechte von Frauen, insbesondere dem Recht auf körperliche Selbstbestimmung und damit einhergehend die Möglichkeit, sich zu einem bestimmten Zeitpunkt gegen das Mutterdasein zu entscheiden. In einem patriarchal organisierten Kapitalismus ist das kein Wunder. Denn hier wird die Reproduktionsarbeit, die abgewertet wird und deswegen nicht oder nur schlecht bezahlt werden muss, auf Frauen ausgelagert. Durch die Konstruktion der Frau als dem genuin empfindsamen, fürsorglichen, aufopferungsvollen Geschlecht kann diese patriarchale Ordnung naturalisiert werden. Einer solchen Erklärung à la „Frauen sind eben so“ würde es in diesem Sinne in die Quere kommen, wenn Frauen selbst entscheiden können, ob sie diesem ideologischen Bild der sorgenden Mutter entsprechen wollen oder ihre Leben anders gestalten möchten. Frauen sind in dieser Weltsicht nur in zweiter Linie Menschen und in erster Linie Brutkästen.

Seit Jahren erleben wir einen antifeministischen Backlash. In diesem Kontext werden lang erkämpfte Errungenschaften, wie gewisse Abtreibungsrechte, zurückgenommen, ob wie zuletzt in Polen, oder in zahlreichen Staaten der USA. Unter dem Vorwand des Lebensschutzes formieren sich konservative Christen und rechte Kräfte, um die ohnehin schon desaströse Lage für Frauen noch zu verschärfen. So ist es kein Wunder, dass immer weniger Praxen in Deutschland Abbrüche anbieten, wenn sie befürchten müssen, dass sie wegen zu vielen veröffentlichen Informationen zum Thema verklagt werden oder wochenlang christliche Fundamentalisten vor ihren Praxen kampieren. Insbesondere im ländlichen Bereich ist die Versorgungslage katastrophal. Und eine solche Situation hat konkrete Konsequenzen für konkrete Frauen. Sie führt zu Verzweiflungstaten. Verbote, fehlende Informationen und fehlende medizinische Angebote sind der Grund für weltweit jährlich mehrere zehntausende tote Frauen, die bei Abbrüchen durch Laien oder Selbstabbrüchen sterben, denn Abtreibungen lassen sich nicht verbieten, sie werden nur unsicher gemacht. So viel dann zum Thema Lebensschutz.

Doch überall auf der Welt formieren sich Frauen gegen diese Zustände, sie gehen auf die Straße ob in Argentinien, Spanien oder Polen. Insbesondere in Zeiten des antifeministischen Backlashes müssen wir als Linke Teil dieser Proteste sein und bleiben. Lasst uns gemeinsam unsere Wut über die unhaltbaren Zustände des Patriarchats, die sich auch in Abtreibungsgesetzen manifestieren, und unsere Trauer über all die verstorbenen Frauen in Widerstand wandeln.

Wir fordern die Abschaffung der Paragraphen 218 und 219a aber wir bleiben nicht bei diesen Forderungen. Wir wollen das Ende einer Gesellschaft, in der Frauen nicht selbstbestimmt und frei von Unterdrückung leben können.

In diesem Sinne: Nieder mit dem Patriarchat und für die befreite Gesellschaft!