An dieser Stelle dokumentieren wir unseren Redebeitrag zum Housing Action Day 2021 in Aachen:
Recht auf Stadt in Zeiten von Corona
Seit einem Jahr bestimmt die Corona Pandemie nicht nur die öffentliche Diskussion, sondern auch ganz konkret das Leben aller Menschen. Doch die Auswirkungen der Pandemie sind nicht auf alle Menschen gleich. So ist die Villa im Südviertel Aachens doch ein angenehmerer Rückzugsort als die Obdachlosenunterkunft in der Hüttenstraße. Während für die Mittelschicht die größte Sorge ist, ob der nächste Urlaub wieder wie geplant statt finden kann, stehen immer mehr Menschen vor ihrer Zwangsräumung. Wurde noch zu Beginn der Pandemie großspurig von Politker*innen versprochen, dass Mieter*innen, die ihre Miete nicht aufbringen können, nicht einfach an die Luft gesetzt werden dürfen, ist mittlerweile davon nichts mehr zu hören. Wir sind wieder beim buisness as usual angekommen. Das bedeutet, dass Menschen wieder geräumt werden, ihre Wohnung verlieren und obdachlos werden. Neben diesem Fakt klingt der Aufruf „Stay at home!“, um die weitere Ausbreitung des Virus zu verhindern, wie eine äußerst schlechte Farce.
Kommt es dann zu einer Räumung, so findet diese oft für die Mehrheit der Nachbar*innen unsichtbar statt. Menschen verlassen ihre Wohnung oft freiwillig. Sie übernachten auf den Sofas von Freund*innen und Bekannt*innen. Daraus entstehen oft Abhängigkeiten. Wohnungs- und obdachlosgewordene Menschen versuchen dies häufig zu verheimlichen. Viele Menschen, die ihre Wohnung verlieren und in die Obdachlosigkeit geraten, schämen sich dafür. Schließlich herrscht immer noch die Vorstellung vor, dass Obdachlosigkeit ein Problem ist, in welches die Menschen durch individuelle Verfehlungen hineingeraten sind. Professionelle Helfer*innen erzählen immer noch allzu häufig von einem pädagogischen Problem und predigen, dass Menschen nur lernen müssten mit einer Wohnung umzugehen oder die Termine beispielsweise beim Jobcenter einzuhalten. Doch diese Vorstellung ist pure Ideologie. Der Verlust von Wohnraum ist ein Problem unserer jetzigen Gesellschaft und liegt in der kapitalistischen Organisation der Gesellschaft begründet.
Im Kapitalismus werden lebensnotwendige Dinge, wie Nahrung, Kleidung oder Wohnraum nicht produziert, weil sie gebraucht werden. Sie werden produziert, um am Markt getauscht zu werden und Profite zu erwirtschaften. So wird auch mehrheitlich nur Wohnraum errichtet, mit dem möglichst großer Profit generiert werden kann. Bekanntlich lässt sich mit einer schicken Wohnung für die gut betuchte Mittelschicht besser wirtschaften, als mit einer günstigen Wohnung im Sozialbau. Das hat sich auch unter Coronabedingungen nicht geändert. Vielmehr richtet sich die gesamte städtische Planung danach, wie profitabel diese ist und nicht wie der tatsächliche Bedarf in der jeweiligen Stadt ist. Diese Entwicklung kann auch in Aachen beobachtet werden. Innerstädtische Projekte werden nicht nach einem konkreten Bedarf geplant, den die aktuelle BewohnerInnenschaft hat. Bei der Planung wird sich viel mehr die Frage gestellt, welche Menschen sollen zukünftig in der Stadt leben und diese besuchen. So wundert es nicht, dass im Imagefilm der Stadt Aachen genau in die selbe Kerbe schlägt. Zu sehen ist die marketingtechnisch vorteilhafte Kombination aus kreativen Designerinnen, „Youtube-Künstlern“, erfolgreichen Unternehmern, Studierenden und alternativ geprägten Kunstschaffenden, die die Vorzüge der Stadt Aachen über die Vereinbarkeit von Familienleben und Subkultur im Frankenberger Viertel definieren. „Eine Stadt wie ein Wohnzimmer, Fritten mit Mayo, Kultur und Hightech: Es gibt gute Gründe, in Aachen zu leben.“ Also alles in Ordnung in Aachen? Diesen Eindruck versucht dieses Filmchen zu erwecken. Das Image der Stadt wird positiv besetzt, die Mischung aus Kultur und Innovation wird städtischerseits betont und verweist auf eine rosige Zukunft. Aachen wird zur Marke, was nichts mit der tatsächlich Realität in Aachen zu tun hat. Doch was passiert mit den Menschen, die nicht in dieses Image eines hippen Aachen passen?
Das sind genau die Menschen, die verdrängt, entmietet und zwangsgeräumt werden. Das sind die Menschen, die in kleinen Wohnungen teils am Rande der Stadt wohnen und deren Mieten auch über das rechtlich erlaubte immer weiter erhöht werden, bis sie diese irgendwann nicht mehr zahlen können. Doch auch mit ihnen schaffen es Investor*innen und Vermieter*innen Geld zu verdienen. Dabei werden sie von Institutionen wie dem Jobcenter und seinen Mitarbeiter*innen tatkräftig unterstützt. So verlangen Vermieter*innen für die kleinsten Wohnungen den Höchstsatz an Miete, das das Jobcenter zur Verfügung stellt. Andererseits kürzt das Jobcenter bei mangelnder Kooperation, wie es im Fachjargon häufig heißt, die Leistungen von Menschen so weit zusammen, dass sie noch nicht mal mehr ihre Miete bezahlen können. So entstehen Mietschulden und Kündigungen seitens der Vermieter*innen. Kommt es dann zur Zwangsräumung, wird diese von Ordnungsamt und Polizei durchgesetzt. So tragen staatliche Behörden und ihre Mitarbeiter*innen zur Misere bei. Gleichzeitig macht auch dieses System vor Jugendlichen nicht halt. Wenn sie beispielsweise in ihren Maßnahmen der Jugendhilfe nicht erfolgreich genug sind, sich anpassen und Fortschritte machen, werden sie ab einem gewissen Punkt als Systemsprenger*innen auch während Corona auf die Straße entlassen und Enden in der Obdachlosigkeit. Auch hier wird oft nur von individuellen Verfehlungen gesprochen und selten die Systemfrage gestellt. Es wird deutlich, dass staatliche Behörden auch in diesem Zusammenhang keine Unterstützung sind. Sie schützen Profite und keine Menschen!
In Anbetracht dieser Situation ist es schwer positiv und hoffnungsvoll zu bleiben. Trotzdem glauben wir daran, dass ein anderes Leben und eine andere Gesellschaft möglich ist. Diese muss jedoch von uns gemeinsam erstritten werden. Dafür sind solche Veranstaltungen, wie die heute, ein erster Schritt. Darum möchten wir uns bei Recht auf Stadt für die Organisation bedanken. Es ist wichtig, dass wir uns bewusst werden, dass Probleme, wie Zwangsräumungen und Obdachlosigkeit keine individuelle Verfehlungen sind, sondern ein gesellschaftliches Problem darstellten.
Doch wir dürfen uns auf dieser Erkenntnis nicht ausruhen. Was wir brauchen ist eine Selbstorganisation. Wir müssen uns anfangen in unseren Nachbarschaften, Freundeskreisen und Initiativen, wie sie Recht auf Stadt eine ist, zu vernetzen und zu organisieren. So können wir die Individualisierung und das allein sein mit den eignen Problemen durchbrechen. So haben wir die Möglichkeit Zwangsräumungen zu stoppen und Forderungen nach einer Stadt, die für uns und nicht zum Schaffen von Profiten gemacht wird, durchzusetzen. In diesem Sinne, lasst niemanden alleine und organisiert euch!