Zwischen Realpolitik und Utopie in der Pandemie

In Potsdam haben im vergangenen Jahr mehrere Gruppen die Broschüre „Zwei Meter Abstand – Perspektiven zur Pandemie“ mit verschiedenen linken Beiträgen zu Corona herausgebracht. Nun ist die zweite Ausgabe erschienen, in welcher auch wir mit dem folgenden Text vertreten sind:

 

Zwischen Realpolitik und Utopie in der Pandemie

Soziale Bewegungen haben es während des ersten Jahres der Pandemie nicht geschafft, groß angelegte Strategien anzubieten um linke Positionen in die Diskussion einzubringen. Bis ZeroCovid.
Als erster Vorschlag, der Forderungen mit einer langfristigen Strategie verknüpft, hat er viele Menschen begeistert und viel Aufmerksamkeit bekommen. Gleichzeitig wurde er oft als unrealistisch kritisiert und zurückgewiesen. Niemand sieht in der aktuellen Situation einen Weg, wie die Vorschläge ohne staatliche Repression umgesetzt werden könnten. Dies ist nicht von der Hand zuweisen. Welche Institution oder Organisation außer dem Staat ist denn auch zur Zeit zur Umsetzung von Forderungen fähig? Doch wurde auch andere Kritik laut. Denn die Forderungen sind nicht per se unrealistisch, sondern zeigt der bisherige Umgang, dass der Staat kein Interesse daran hat sie umzusetzen.
Nun ist es uns Wichtig in diesem Text über das Verhältnis von Realforderungen und Utopie zu schreiben. Der Streit über dieses Verhältnis ist so alt wie die Linke selber. Während den Utopisten Kleinbürgerlichkeit bescheinigt wurde, da ihre Träumereien nichts mit der Wirklichkeit zu tun hätten, so ist aber die reine Fixierung auf Klassenkämpfe noch kein Garant für die progressive Überwindung des Kapitalismus. Politisches Handeln kann nicht alleine auf Idealistische Zukunftsvorstellungen aufbauen, da diese sonst entweder auf ewig unerreichbar bleiben oder im Versuch ihrer Umsetzung, die konkreten Menschen, mit ihren Macken und Verschiedenheiten nicht ins Konzept passen. Der Weg zur Hölle ist ja bekanntlich gepflastert mit guten Absichten.
Was machen wir also mit den „unrealistischen“ Forderungen von ZeroCovid? Was bietet die Linke an? Wie kann eine Strategie gefunden werden, die nicht auf Hilfen vom Staat abhängig ist sondern tatsächlich ein Schritt zu einer solidarischen, klassenlosen Gesellschaft sein könnte?
Der Schwachpunkt von ZeroCovid ist, dass linke Bewegungen zu wenig in der Bevölkerung verankert sind um die Forderungen selbstorganisiert umzusetzen. Dieses Problem wird sich aus unserer Sicht nur lösen, wenn sich Organisierungs-Methoden im gewerkschaftlichen, nachbarschaftlichen Sinne, weiter verbreiten. Diese Pandemie hat uns wiedermal gezeigt, das die Linke sich nicht nur untereinander in Kleingruppen organisieren sollte oder auf Kampagnen und Demos verlassen kann. Eine handlungsfähige Linke ist eine organisierte Linke! Und diese Organisierung wird anhand konkreter gesellschaftlicher Konflikte ablaufen. Egal ob hohe Mieten, schlechte Gehälter, zu wenig Personal, zu viel Arbeit, Gewalt in Beziehungen oder die rassistische Polizei – gesellschaftliche Konflikte bei denen Organisierung funktioniert und hilft, gab und gibt es Viele. Die Coronakrise hat sie nur verstärkt oder sichtbarer gemacht. Und sie zeigt, diese aktuelle gesellschaftliche Organisation, auf Märkten aufbauend und getrieben von Profit und Konkurrenzkampf, kann die daraus resultierenden Probleme nicht lösen. Sie konnte es nicht davor und wird es auch in Zukunft nicht können. Kommunismus oder wie auch immer ihr es nennen wollt, muss sich immer auch als Bewegung vorgestellt werden, eine Bewegung in der möglichst viele Sagen: ‚Nein! Wir müssen unsere Zusammenleben anders regeln und nicht blind den Marktgesetzen folgen.‘ Dafür braucht es Visionen, konkrete wie die von ZeroCovid, die an aktuellen, gesellschaftlichen Konflikten und Widersprüchen ansetzen, als auch utopische, die uns von einer besseren Zukunft träumen lassen. Die Frage nach dem Staat würde sich in dem Moment erledigen wo die Mehrheit der Menschen ihr leben selbst in die Hand nimmt und sich solidarisch aufeinander bezieht, sich nicht alleine lässt und sich umeinander sorgt. Eine Bewegung, die uns diesem Moment näher bringt, wird nicht durch eine einzelne Kampagne entstehen. Kampagnen wie ZeroCovid sollten uns aber als Anlass dienen, im Gespräch
mit unorganisierten Menschen zu versuchen mit linken Ansätzen zu begeistern und aus den Ideen selbstorganisierte Projekte entstehen zu lassen. Diese Strukturen und Erfahrungen werden für den Aufbau einer organisierten Bewegung viel wichtiger sein , als eine:n Politiker:in von einer Forderung zu überzeugen.