Dieser Artikel wurde in der vierten Ausgabe der ‚Tacheles‘ veröffentlicht.
Kita-Ausbau, „familienfreundliche“ Unternehmen, Gleichstellungsbeauftragte, Eltern- und Betreuungsgeld sind in aller Munde und werden sowohl in Parlamenten als auch am Küchentisch diskutiert. Es entsteht schon seit Längerem der Eindruck, dass der Staat der neue Verbündete im Kampf um eine Gleichstellung der Geschlechter geworden sei. Trotz aller „Bemühungen“ staatlicherseits ist jedoch weder eine formelle noch eine reale Gleichstellung in Sicht. Das ist kein Zufall. Bei genauerer Betrachtung wird deutlich, dass mit den umgesetzten Strukturen und Gesetzen ganz andere Ziele als die Befreiung der Frau angestrebt werden.
Zum Verhältnis von Staat und Kapitalismus
Im Kapitalismus müssen Menschen, um überleben zu können, ihre Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt verkaufen. Mit Hilfe ihrer Löhne können sie Nahrungsmittel kaufen, Miete bezahlen und ihren Hobbys nachgehen. An dieser Stelle darf man sich aber nicht täuschen lassen. Nicht das menschliche Wohlergehen ist hier das Ziel. Vielmehr soll durch das Zahlen der Löhne erreicht werden, dass Menschen die genannten Güter konsumieren können. Sie sollen sich so von ihrem harten Arbeitstag erholen können und am nächsten Tag wieder neue Waren und damit Mehrwert produzieren.
Eine kapitalistisch organisierte Wirtschaft hat einzig das Erzielen von Profit zum Ziel, menschliche Bedürfnisse spielen nur eine untergeordnete Rolle. Der Staat vermittelt als Gehilfe des Kapitalismus zwischen Wirtschaftsordnung und Individuum. Denn sonst würde der Kapitalismus in seinem Normalbetrieb die eigene Grundlage seines Wirtschaftens, die Arbeiter*innen, zerstören.
Vermittlung zwischen Kapital und Individuum auf Kosten von Frauen
Der Staat vermittelt zwischen Individuum und der kapitalistischen Art zu wirtschaften – auf Kosten von Frauen. Historisch tradiert werden Frauen Aufgaben zugeschrieben wie sich um Alte und Kinder zu kümmern, Trost zu spenden und leckeres Essen zu zaubern. Diese Aufgaben finden im Privaten fern der Öffentlichkeit statt. Auf den ersten Blick wird hier kein offensichtlicher Wert geschaffen. Es wird kein Produkt hergestellt, welches teuer verkauft werden kann. Aus diesem Grund wird diese Art der Arbeit in unserer Gesellschaft oft nicht wahrgenommen und nicht als Arbeit anerkannt. Das bedeutet für diese Menschen, die meistens Frauen sind, dass sie abgewertet werden. Auch die Eigenschaften, die gesellschaftlich Frauen zugeschrieben werden, werden abgewertet.
Feministische Kämpfe und staatliche Reaktionen
Hiergegen haben Generationen von Feminist*innen gekämpft. Diese Kämpfe sahen sehr unterschiedlich aus. Teile der Forderungen wurden mit der Zeit vom Kapitalismus einverleibt, da diese für ihn nützlich waren und ihn stabilisierten. Außerdem wurden Frauen zunehmend als Behältnisse der Ware Arbeitskraft wahrgenommen. So nutzt der Kapitalismus sie zur Kapitalakkumulation und Profitmaximierung und konnte gleichzeitig das Widerstandspotential von feministischen Kämpfen minimieren.
Das soll anhand einiger Beispiele verdeutlicht werden:
1. Elterngeld
2007 wurde das Elterngeld eingeführt. Es soll Eltern ermöglichen, ihre Arbeitszeit zu reduzieren und sich um ihre kleinen Kinder zu kümmern. Jedoch funktioniert dies nur so einfach, solange das Familienmodell, indem die Kinder groß werden, ein traditionelles ist. Sobald es zu Abweichungen kommt – wenn z.B. die Eltern in unterschiedlichen Wohnungen leben oder nicht verpartnerte Homosexuelle sind – verkompliziert sich die Antragsstellung, da sie sich nach der Meldeadresse und dem Hauptwohnsitz des Kindes richtet.
Dazu kommt, dass das Elterngeld eine Lohnfortzahlungsleistung ist, bei der ca. 75 % des vorherigen Einkommens gezahlt werden. So soll der Lebensstandard gesichert werden. Ist man in Transferleistungsbezug, so erhält man überhaupt kein Elterngeld, da es auf das ALG II angerechnet wird.
An dieser Stelle wird umso deutlicher, dass es dem Staat nicht darum geht, Kinderarmut – die immer Armut der Eltern bedeutet – zu senken. Denn vom Elterngeld profitieren Familien mit höheren Einkommen, wohingegen die mit niedrigen Einkommen in Armut verbleiben. Vielmehr geht es darum, einen Anreiz für besserverdienende Frauen, also Frauen der Mittelschicht, zu schaffen Kinder zu bekommen. Denn diese generieren den größten Mehrwert für das Kapital.
2. Kitaausbau vs. Betreuungsgeld
Ähnliches spielt sich in der Diskussion um Kitaausbau und Betreuungsgeld ab. Im Kapitalismus mit seiner Verwertungslogik sind Familien dazu gezwungen, dass sowohl Mutter als auch Vater arbeiten gehen. In diesem Fall muss gewährleistet sein, dass die Kinder anderweitig betreut werden. Darum wurde mit dem Kitaausbau und der Etablierung der Institution Tagesmutter ein Angebot geschaffen, um diese Betreuung sicherzustellen.
Bei einer näheren Betrachtung fällt jedoch auf, dass hier lediglich eine Verlagerung der Sorgearbeit stattfindet. Meist arbeiten Frauen in Kitas oder als Tagesmütter in prekären Arbeitsverhältnissen. Sie arbeiten sehr vereinzelt, teilweise 50 bis 60 Stunden die Woche. Ihre Arbeitszeiten sind flexibilisiert. Viele sind Freiberuflerinnen. Konkret bedeutet das, dass sie sich selbst versichern müssen und auch eine Rente im klassischen Verständnis nicht in Sicht ist. Dieses Arbeitsverhältnis klingt bei Weitem nicht nach der Vermeidung von Altersarmut.
Doch nicht etwa diese Arbeitsbedingungen erregten die Gemüter der staatlichen Feminist*innen, sondern das von konservativer Seite eingeführte Betreuungsgeld in Höhe von 150€. 150€ werden wohl kaum jemanden ernsthaft davon abhalten, arbeiten zu gehen, oder gar den Lebensunterhalt einer Familie sichern. Vielmehr war das Betreuungsgeld ein kleiner Bonus für Familien, die zuvor bereits von nur einem Lohn leben konnten. Kurz gesagt: für die Besserverdienenden. Nebenbei erwähnt würden Transferleistungs-bezieher*innen von der Leistung des Betreuungsgeldes gar nicht profitieren, da ihnen diese Leistung auf den Transferleistungsbezug angerechnet würde. Gleichzeitig wird und wurde die Diskussion um das Betreuungsgeld von dessen Kritiker*innen rassistisch und sozialchauvinistisch aufgeladen. So wurde in der Diskussion oftmals unterstellt, dass Migrant*innen und Transferleistungsbezieher*innen ihre Kinder den Bildungseinrichtungen entziehen würden, um finanziell davon zu profitieren.
3. Das „familienfreundliche Unternehmen“
Bei einem sogenannten „familienfreundlichen Unternehmen“ werden, um einen getakteten Lohnarbeitstag zu ermöglichen, Teile der Reproduktionsarbeiten wie Kinder hüten, Essen zubereiten, waschen, bügeln, etc. entweder an private Dienstleistungsunternehmen delegiert oder in eigene Sparten des Unternehmens verlagert. Dort werden diese dann von vermeintlich schlechter ausgebildeten Arbeitskräften (das bedeutet schlechter bezahlt) ausgeführt. In der Realität sind das meistens migrantische oder proletarische Frauen. In pandemischer Zeit wird jedoch deutlich, dass gerade diese Arbeitsplätze besonders benötigt werden. Trotzdem werden sie weiterhin schlecht bezahlt und bleiben gesellschaftlich marginalisiert. An dieser Stelle stellt sich die Frage, welchen Frauen das nutzt und welche nur sehr bedingt von solch einer Umstrukturierung der Unternehmen profitieren. Diese Form der Unternehmensstruktur erfährt von staatlicher Seite eine Förderung.
Reproduktion hat ein Geschlecht oder die Ideologie der guten Mutter
Nach wie vor ist in den meisten Fällen die Frau für anfallende Sorgearbeit verantwortlich. Besonders wenn eine Frau Mutter wird, verschärft sich dieser Zustand. In den letzten Jahrzehnten hat sich die Doppelbelastung durch Lohnarbeit und Kindererziehung intensiviert. Dies wird durch die akute Corona-Krise nur verschärft, da Mütter nun häufig neben der Lohnarbeit auch noch die Aufgabe haben, die Kinder rund um die Uhr zu versorgen. Von Vätern wird dies jedoch kaum erwartet.
So wird an dieser Stelle mit dem Ideal von einer guten Mutter nicht nur eine Doppelbelastung für Frauen geschaffen, sondern auch häufig die Möglichkeit genommen darüber zu sprechen, da diese Belastung als Norm, wenn nicht gar als Emanzipation angesehen wird. Für eine kapitalistisch organisierte Gesellschaft ist es wichtig, dass diese Norm eingehalten wird. Schließlich ist die Familie ein Zuliefererbetrieb für den Kapitalismus.
Der Staat doch kein Feminist?
So haben die vom Staat getroffenen Regelungen nur noch sehr wenig mit den feministischen Kämpfen und ihren Forderungen zu tun. Befreiung und Gleichstellung von Frauen – Fehlanzeige! Vielmehr findet ein Klassenkampf von oben statt. Denn durch Leistungen wie Elterngeld bekommen Menschen mit hohen Einkommen mehr, während Menschen mit geringem Gehalt weiterhin jeden Euro mehrfach umdrehen müssen, bevor sie sich und ihren Kindern nur eine Kleinigkeit kaufen können. Gleichzeitig wird ein großer Teil der Reproduktionsarbeit auf migrantische und proletarische Frauen abgewälzt. Der Staat wird an dieser Stelle seiner Rolle als Lenker und Vermittler gerecht, denn durch die ergriffenen Maßnahmen soll erreicht werden, dass die Mittelschichtsfrau sich vermehrt und gleichzeitig noch Kapazitäten dafür hat, ein Arbeitskraftbehältnis zu sein.
Unser Feminismus sieht anders aus! Wir wollen nicht nur mehr Repräsentanz im Kapitalismus für bestimmte Frauen erreichen, sondern eine vollumfängliche Befreiung von Frauen. Dies kann nur mit einer Befreiung der ganzen Menschheit einhergehen. Das funktioniert nicht mit, sondern nur gegen den Kapitalismus und der Überwindung von diesem. Nichtsdestotrotz bedeutet es nicht, den Kampf zur Befreiung von Frauen in eine weit entfernte Zukunft zu verbannen. Es ist und bleibt notwendig, auch im Hier und Jetzt für Verbesserungen zu streiten.