Redebeitrag auf der Demonstration „Gegen jeden Antisemitismus“

Wir stehen hier heute, weil es in den vergangenen Tagen immer wieder zu Angriffen auf Synagogen gekommen ist. Unter anderem in Münster, Bonn und Gelsenkirchen kam es zu antisemitischen Angriffen oder antisemitischen Sprechchören auf spontanen Demonstrationen. Wie schon 2014 sind militärische Auseinandersetzungen zwischen Israel auf der einen Seite und Hamas und Islamischer Jihad auf der anderen Seite Anlass für Demonstrationen und Anschläge. Ich kann und will hier heute nicht den Konflikt in und um Israel diskutieren, erklären oder gar lösen. Dafür reicht wahrlich nicht die Zeit und beim letzten Punkt stößt man logischerweise an seine Grenzen. Ich möchte daher etwas allgemeiner über das Thema Antisemitismus sprechen.

Wir beteiligen uns als Diskursiv Aachen seit vielen Jahren am Gedenken um die Reichspogromnacht, wir haben Ausstellungen und Vorträge zur Geschichte der Shoa und zum Antisemitismus im Allgemeinen veranstaltet. Wir haben und werden uns immer gegen jede Form des Antisemitismus stellen.

Der Kampf gegen Antisemitismus stößt aber meist schon bei der Definition des Begriffes „Antisemitismus“ auf heftigen Widerstand. Antisemitismus ist spätestens seit 1945 ein umkämpfter Begriff geworden um den sich viele politische Strömungen streiten. Gerade wenn es um den Nah-Ost-Konflikt geht, berufen sich die ganz gewieften darauf, dass Araber*innen ja auch Semiten seien und somit Araber*innen auch keine Antisemiten sein könnten. Hier wird ganz tief in die sprachliche Trickkiste gegriffen und der Antisemitismus als Hass auf Semiten ausgelegt.

Die wohl am weitesten verbreitete Ansicht ist die, dass Antisemitismus eine Form des Rassismus sei und somit als Diskriminierung, Unterdrückung etc. gewertet werden kann. Das bedeutet meist auch, dass er mit Aufklärung oder Bildung bekämpft werden könnte. Doch Antisemitismus ist mehr eine Welterklärung, eine Obsession, eine Leidenschaft.

Er setzt auf der Gefühlsebene an, er befriedet die verdrängte Gefühle des vergesellschafteten Subjekts. Er mobilisiert Massen und bietet vermeintliche Antworten auf die Großen Fragen und Zumutungen der modernen Gesellschaft, dem Kapitalismus und somit der apersonalen Herrschaft. Sartre nannte den Antisemitismus einmal die Angst vorm Menschsein. Die Angst vor der Verantwortung, die es mit sich bringt ein freier Mensch zu sein. Der Antisemit scheut die Verantwortung und projiziert das Böse, das Schlechte was er an sich und der Gesellschaft sieht und fühlt, auf „den Juden“. Das Judentum wird in diesem Denken als Verschwörung gedacht, als omnipotenter Strippenzieher im Hintergrund der gleichzeitig für Kapitalismus wie für Kommunismus verantwortlich sei.

Daher sehen sich die Antisemiten aller Couleur auch immer als die Guten, als die Retter der Menschheit. Und so ziehen diese idealistischen Menschenfeinde vor Synagogen oder andere jüdische Einrichtungen und zelebrieren das Pogrom ohne jede Reue. Die Antisemiten sehen im sogenannten Weltjudentum bzw. der Verschwörung um dieses, alle Ursachen für die Entwicklung in unseren Gesellschaften. Und so verwundert es nicht, dass die Verschwörungserzählungen innerhalb der Querdenker Bewegung, die Erzählungen von Globalisten und Eliten, dann auch in offenen Antisemitismus enden. Oft ändern sich nur die Begrifflichkeiten und auch mit dem Antizionismus verhält es sich nicht anders. Der Begriff Zionismus oder Zionisten scheint in manchen Köpfen stärkere Gefühle auszulösen als der Begriff Nazi.

Antisemitismus in all seinen Formen kann nicht auf bestimmte Gruppen oder politische Einstellungen beschränkt begriffen werden. Ob es IslamistInnen oder türkische FaschistInnen sind die sich vor Synagogen zusammenrotten oder Neonazis und neue Rechte wie in Halle oder Gangelt. Ob Querdenker oder die Maoisten vom Jugendwiderstand, ob AfD oder Muslimbrüder. Ob es subtil kommt wie die Schlussstrichdebatte oder ob Hakenkreuze auf Grabsteine geschmiert werden. Ob es Kommentare in Sozialen Medien sind oder Menschen ermordet werden. Wir stellen uns gegen Jeden Antisemitismus. Und als Linke sind wir nach wie vor der Meinung, dass die beste Form der Bekämpfung des Antisemitismus in der Verwirklichung einer befreiten Gesellschaft besteht. Einer Gesellschaft in der man endlich ohne Angst anders sein kann. Eine Gesellschaft ohne Staat, Nation und Kapital. Und bis dahin:

Gegen Jeden Antisemitismus

Für die Befreite Gesellschaft