Redebeitrag 19.08.2020:  Rechter Terror in der BRD & die Unfähigkeit von Polizei und Justiz

An dieser Stelle dokumentieren wir unseren Redebeitrag anlässlich der Gedenkkundgebung am 19.08.2020 für die Opfer des rechten Terrors in Hanau.

Rechter Terror in der BRD & die Unfähigkeit von Polizei und Justiz

Hallo wir sind Diskursiv Aachen, danke dass ihr so zahlreich erschienen seid.

Vor sechs Monaten waren wir in Hanau auf der bundesweiten Demonstration im Anschluss an den rassistischen Terroranschlag des 19.2. Auf der Abschlusskundgebung wurde mehrfach betont, dass dieser Anschlag keineswegs aus dem Nichts kam. Dass der Rassismus schon immer Teil des Lebens migrantischer Menschen in Deutschland war und dass auch rechter Terror längst kein neues Phänomen in diesem Land darstellt. Dementsprechend kamen auch jene zu Wort, die ebendies bereits erlebt haben. So beschrieb eine Angehörige des durch den NSU in Kassel ermordeten Halit Yozgat, wie sie seit Jahren vergeblich auf die Aufklärung der terroristischen Morde durch den NSU wartet und das Gegenteil davon erfahren muss.

Berechtigte Zweifel kamen auf, dass es sich im Falle Hanau anders verhalten würde. Das wollen wir zum Anlass nehmen um einmal aufzuzeigen, warum es in diesem Land und mit dieser Polizei und dieser Justiz keine Gerechtigkeit und Aufklärung des faschistischen Terrors geben kann und geben wird!

„Als Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland, verspreche ich ihnen: Wir tun alles, um die Morde aufzuklären und die Helfershelfer und Hintermänner aufzudecken und alle Täter ihrer gerechten Strafe zuzuführen.“ Mit diesen Worten richtete sich Angela Merkel 2012 an die Hinterbliebenen der Opfer des Nationalsozialistischen Untergrundes.

Wir wissen heute genau, dass dies nicht mal ansatzweise geschehen ist!

Das Urteil des 5-Jahre dauernden Gerichtsprozesses hat ungefähr genau so viel Aufklärung über die Taten gebracht, wie die Berichterstattung der ersten Tage nach dem Auffliegen des NSU. Die Staatsanwaltschaft hatte von Anfang an alles daran gesetzt, die These zu vertreten, die 3 Täter*innen hätten weitestgehend allein gehandelt. Das Gericht kam dieser Auffassung gerne nach. Dass es sich jedoch anders verhielt, dass der NSU ein breites Unterstützungsnetzwerk hatte, dass der Verfassungsschutz eine elementare Rolle gespielt hat und tief in die Morde sowie der Sabotage bei der Aufklärung verstrickt war, schien nicht allzu wichtig. Hauptsache, man kann am Ende ein paar Einzelpersonen verurteilen. Das kann man dann auch als gelungene Aufklärung der Morde verkaufen sofern man ausblendet, dass einige der Polizei- und Verfassungschutzberichte noch für über 100 Jahre unter Verschluss gehalten werden sollen. Hier zeigt sich die Scheinheiligkeit einer Bundesrepublik, mit der im Bundestag Trauer geheuchelt wird während der VS gleichzeitig Akten schreddert und Täter aus den eigenen Reihen deckt.

Blicken wir nach Halle, wo letztes Jahr im Oktober ein bekennender Faschist während des Jom Kippur versuchte, in die örtliche Synagoge einzudringen und dort ein Massaker zu veranstalten. Nachdem sein Plan scheiterte tötete er zwei Personen im Umfeld der Synagoge.

Auch hier sehen wir während der derzeitigen Gerichtsverhandlungen die völlige Unfähigkeit der Richterin, das ideologische Ausmaß der antisemitisch motivierten Tat zu begreifen. So fragte sie den Täter, warum er nie zuvor eine Synagoge besucht habe, um die andere Kultur besser kennen zu lernen. Eine Farce, hätte er dadurch doch zum einen eine bessere Ortskenntnis gehabt, wodurch sein Vorhaben wahrscheinlich nicht gescheitert wäre und zum anderen, weil eine solche Frage darlegt, dass sich die Richterin nicht einmal annähernd damit befasst hat, worin Antisemitismus eigentlich begründet liegt. Der Hass auf die Juden ist kein falsches Vorurteil, das ausgeräumt werden kann, sondern ist die irrationale Welterklärungsideologie, an deren Ende die Juden, die Israelis und die Zionisten hinter allem Schlechten im Leben der Antisemiten stehen, sei es muslimische Einwanderung, der Feminismus oder die die Machenschaften des Finanzkapitals. Der Prozess von Halle zeigt, dass es für die bürgerliche Justiz nicht möglich ist den ideologischen Gehalt dieser Terroranschläge nachzuvollziehen, was es wiederum unmöglich macht eine umfassende Aufklärung zu erreichen, geschweige denn eine Perspektive zu bieten, wie solche Taten in der Zukunft verhindert werden könnten.

Gerade dies zeigt sich momentan in Hessen. Dort wurden von Polizeicomputern rassistische und antifeministische Drohmails verschickt unterzeichnet mit NSU 2.0. Auch hier nimmt das Desaster freien lauf, angesichts der dilettantischen Ermittlungsversuche in den eigenen Reihen. Von vornherein ist klar, dass der innerpolizeiliche Korpsgeist nichts unversucht lassen wird um die Kameraden im Büro nebenan vor einem Gerichtsverfahren oder gar einer Verurteilung zu schützen. So wird mal eben die Person, um deren Computer es sich handelt und die bereits durch rechte Chatgruppen aufgefallen war, einfach als Zeuge gehandelt und der Rücktritt des zuständigen Polizeichefs kann noch nicht mal als Bauernopfer gewertet werden, stand er doch ohnehin kurz vor der Pensionierung.

Man darf hierbei natürlich keinesfalls die historische Kontinuität des nun gut 70 Jahre alten   Repressionsapparats der BRD aus dem Blick verlieren. Rechte Netzwerke in Polizei und Bundeswehr sind nicht über Nacht entstanden und auch keine Einzelfälle. Das illustriert das Beispiel des Bundeskriminalamtes: 25 der 36 Beamten in der Führungsebene rekrutierten sich 1954 aus der SS. Entnazifizierung am Arsch. Und dass diese Nazis am liebsten alte Kameraden engagierten, bedarf keiner großen Kombinationsgabe. Der Polizeiapparat hatte von Stunde Null an ein Naziproblem. Und das hat sich nie geändert. Genauso sieht es in der Justiz aus. Richter, die in den 30er und 40er Jahren unter dem NS Menschen ins KZ schickten, verfolgten in den 50er und 60er Jahren Kommunist*innen unter Adenauer.

Zurück nach Hessen und es scheint alles andere als Zufall zu sein, dass gerade dort die rassistischen Morde von Hanau geschehen sind. Vor etwas mehr als einem Jahr wurde dort in Istha bei Kassel der CDU-Politiker Walter Lübcke von Stefan Ernst vermutlich zusammen mit seinem Mittäter Markus H. hingerichtet. Beide Personen waren in der Vergangenheit in neonazistischen Strukturen organisiert und seit langem dort aktiv. Bislang drehten sich die Ermittlungen nur um diese beiden Gestalten. Ob in diesem Fall auch das rechtsradikale Umfeld der beiden mit Überschneidungen zum NSU näher unter die Lupe genommen werden wird und es dementsprechend so zu einer umfassenden Aufklärung kommt, kann getrost angezweifelt werden.

Dass es bei all diesen Fällen auch Angehörige von den Opfern gibt, die teilweise sogar selbst als Tatverdächtige gehandelt wurden und die endlich um Gerechtigkeit angesichts ihres schrecklichen Leids wissen wollen, scheint den deutschen Behörden völlig egal.

Eine Justiz, die in ihrer liberalen Grundvorstellung das Individuum und nur das Individuum allein verantwortlich für seine Taten macht, ist nicht in der Lage eine strukturelle oder gesamtgesellschaftliche Analyse zu tätigen. Gleichzeitig versucht man, staatliche Strukturen, deren Teil die Justiz letztlich ist, zu schützen oder bewusst zu ignorieren, sobald diese mit verwickelt sind oder Fehler gemacht haben.

Diese Unfähigkeit bzw. dieser Unwille zieht sich wie ein roter Faden durch die zuvor genannten Beispiele und lässt uns im Falle Hanau nichts gutes hoffen.

Wir haben ausgiebig erläutert, warum wir keinerlei Vertrauen in die staatlichen Organe setzen können, wenn wir uns erhoffen, dass solche Morde aufgeklärt werden. Wir hätten auch noch viele Beispiele mehr nennen können, doch die Benennung dieser, würde jeden zeitlichen Rahmen sprengen. Die Behörden sind Teil des Problems. Das Problem heißt Rassismus und es heißt auch Kapitalismus, welcher jede gesellschaftliche Ungleichheit materiell zementiert. Und deshalb heißt das Problem auch Staat, denn dieser ist der gewalttätige Souverän, der diese ungerechte Gesellschaftsordnung verteidigt. Von ihm ist keine Gerechtigkeit und keine Hilfe für unsere Sache zu erwarten. Um mit Michail Bakunin zu sprechen: „ Es ist offenbar, dass alle sog. allgemeinen Interessen der Gesellschaft, die der Staat angeblich vertritt, eine Fiktion bilden und der Staat gleichsam eine Schlächterei und ein ungeheurer Friedhof ist“.

Diesen Zuständen gilt es, etwas entgegenzusetzen: Niemand dem etwas an Gerechtigkeit für die Opfer, lückenloser Aufklärung über die Taten und die endgültige Beendigung des rassistischen Terrors liegt, kann sich auf diesen Staat verlassen. Im Gegenteil, ist die einzige Möglichkeit die wir heute sehen, uns zusammenzuschließen und zu organisieren gegen den Faschismus und gegen den Kapitalismus um endlich Schluss zu machen mit dem weltweiten Terror und Elend. Um eine Welt zu schaffen in der alle Menschen frei zusammen leben können ohne Angst vor den mörderischen Ideologien die uns alle heute plagen. Kurz: In einer Welt in der die Kategorien des Rassismus, des Antisemitismus und jeglicher Unterdrückung des Menschen durch den Menschen abgeschafft sind.

Den Opfern gedenken, dem Terror entgegen – für die befreite Gesellschaft!