Wir dokumentieren hier unseren Redebeitrag auf der Demonstration „Ein Jahr nach dem 7. Oktober – Antifa heißt Israelsolidarität“ in Köln am 6. Oktober 2024. Der Redebeitrag setzt sich mit dem Antizionismus der radikalen Linken (in Deutschland) auseinander:
Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Freundinnen und Freunde,
Wir stehen hier fast genau ein Jahr nach den antisemitischen Überfällen der Hamas und ihrer Verbündeten auf die Zivilbevölkerung Israels. Über 1000 Menschen starben – weitaus mehr wurden verletzt. Unsere Gedanken sind bei den verbliebenen Geiseln, sie müssen so schnell es geht freikommen!
Doch unser Redebeitrag handelt nicht von den Opfern dieses Anschlags. Wir wollen auf das schwierige Verhältnis von Zionismus und radikaler Linke schauen. Zwei linke Gruppen – die PFLP und die DFLP – hatten sich an dem Massaker beteiligt. Die teils islamistischen Antiisrael-Demos im Westen werden von Linken mitgetragen oder organisiert. Und im deutschsprachigen Raum wurde und wird kein politischer Konflikt innerhalb der Linken mit so einer Härte, verbal wie auch tätlich, geführt.
Moishe Postone schrieb mal über die deutsche Linke, dass keine Linke so israelfreundlich war, wie sie nach dem Sechstagekrieg antizionistisch wurde. Kurz nach der Gründung Israels konnte man noch viel mit den sozialistischen Ideen der Pioniere des Staates anfangen. Man hatte noch bewusst vor Augen, was der Antisemitismus in Europa, ausgehend von Deutschland, für katastrophale und genozidale Auswirkungen angenommen hatte. Die Deutschen waren fast erfolgreich gewesen das europäische Judentum zu vernichten, gleichzeitig hatten die anderen Nationen den jüdischen Flüchtlingen nur bedingt Asyl gewährt. Aber als sich die Neue Linke in den 1960ern langsam formierte, kamen auch schon andere Stimmen zu Wort. Die Abgrenzung zu den Eltern und die Frage nach ihrer Rolle im NS nahm zwar bis dahin eine wichtige Rolle in der Identität junger Linker ein. Als der internationale Kampf an Einfluss gewann, wurden Vietnam und Palästina als Identifikationspunkte jedoch immer wichtiger.
Die Tupamaros West-Berlin unter Führung von Dieter Kunzelmann stachen hier hervor. Nach dem 6-Tage Krieg 1967 war die Stimmung in der Linken gekippt, aus dem „David“ Israel, der sich 1948 gegen die übermächtigen arabischen Armeen wie ein Wunder hatte behaupten können, war plötzlich der „Goliath“ Israel geworden, der im Präventivschlag einen angedrohten Angriff Syriens, Jordanien und Ägyptens abwehren konnte. Und nicht nur das: Israel konnte auch Gebiete besetzen, die seit 1948 von Jordanien und Ägypten besetzt waren.
Die späteren Tupamaros ließen sich 1969 in Jordanien von der Fatah ausbilden und nach nur einem Monat kamen sie mit der Idee des bewaffneten antiimperialistischen Kampfes zurück nach Deutschland. Eine Woche nach ihrer Rückkehr versuchten Sie am 9. November das jüdische Gemeindehaus in Berlin zu sprengen. Im Gebäude fand eine Gedenkveranstaltung zur Reichspogromnacht statt. Die Bombe explodierte wegen eines defekten Zünders glücklicherweise nicht. Sonst wären vermutlich viele der 250 Gäste getötet worden. Kunzelmann schrieb später aus dem Exil in Jordanien, die deutsche Linke müsste ihren „Judenknax“ überwinden, da aus Opfern Täter geworden seien. Ein Motiv für linken Antisemitismus ist eine bestimmte Form von Vergangenheitsverdrängung. Statt dem Unrecht nur zuzuschauen – wie es die Eltern noch getan hatten – konnte man jetzt den Kampf aufnehmen und auf der vermeintlich richtigen Seite der Geschichte stehen. Postone vermutet hier eine psychologische Umkehrung: Wenn die Israelis jetzt die neuen Nazis sind, dann sind die Palästinenser die neuen Juden. Er schreibt: „Der Kampf gegen Zionismus verwandelte sich in den langersehnten Kampf gegen die Nazivergangenheit – befreit von Schuld.“
Der Erfolg des Zionismus – also die Gründung des Staates Israel – steht auch für die Niederlage und für das Versagen der Linken. Hatte die KPD noch bis 1933 selbst mit antisemitischen Positionen auf sich aufmerksam gemacht, so war in der Sowjetunion nach 1945 im Zuge der antisemitischen Ärzteprozesse der Antizionismus als eine Art ‚Ersatz-Antisemitismus‘ groß geworden. Die Linke hatte entweder nicht helfen können oder hatte sich am Antisemitismus beteiligt – um sich dem antisemitischen „Volkswillen“ anzubiedern – das war und ist die bittere Erkenntnis. Statt Weltrevolution war nun Staatssozialismus und nationale Befreiung angesagt. Vor dem NS war der Zionismus eher eine Randerscheinung, nach Auschwitz aber wurde er in all seinen Ausprägungen von links bis rechts zur wichtigsten politischen Idee innerhalb der jüdischen Gemeinschaft. Der Zionismus ist nicht eine emanzipatorische Idee, es geht nicht um ein befreites Leben für die Weltgesellschaft, aber er ist eine notwendige Idee, denn nur er vermag es jüdisches Leben heute zu schützen. Das sind die Lehren der Vergangenheit und der Gegenwart.
Der Begriff Zionismus wurde im Laufe der 1970er Jahre fast gleichbedeutend mit Faschismus gewertet. Als 1976 bei einer Flugzeugentführung in Entebbe deutsche Linke Jüdinnen und Juden vom Rest der Geiseln selektierten, war ein trauriger Höhepunkt erreicht. Danach begann in vielen Teilen der radikalen Linken in Deutschland ein Reflektionsprozess der den Antizionismus an den Rand zu drängen versuchte und als regressive Ideologie fasste. Doch seit einigen Jahren wird diese Ideologie wieder salonfähig. Eine Mischung aus autoritären – an Lenin orientierten – Linken und einer am Queerfeminismus und postkolonialen Theorien orientierten Studierenden Bubble fordert heute „Free Gaza from German Guilt“ und nähert sich somit wieder den Ideen vom „Judenknax“ der antisemitischen Tupamaros aus West-Berlin an.
Es gilt diesen Entwicklungen entgegenzutreten: Der Antizionismus ist eine Ideologie, die immer auf der Logik der Herrschaft und Ausbeutung verbleibt und daher nie in eine befreite Gesellschaft führen wird. Er ist eine Regression. Er hinterlässt Leichenberge, Trauer und Wut. Ein Kampf gegen Faschismus bedeutet darum auch immer ein Kampf gegen jeden Antisemitismus und Antizionismus! Wider der Barbarei! Für eine befreiten Gesellschaft!
Foto: Sebastian Weiermann // Instagram