Redebeitrag von Diskursiv Aachen auf der Kundgegung am Tag gegen Gewalt an Frauen

Guten Abend!

Ich möchte heute am internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen ein Blick auf den strafrechtlichen Umgang mit dem Themenfeld der Gewalt gegen Frauen werfen und zeigen, wie schnell ein Feminismus mit Forderung für ein Ende von geschlechterbasierter Gewalt mit dem Fokus auf Ausbau des Strafrechts und des Polizeiapparats an seine Grenzen kommt.

Gewalt gegen Frauen ist vielfältig. Sie findet in verschiedenen Räumen, Zusammenhängen und Formen statt. Als Beispiel möchte ich an dieser Stelle die sogenannte häusliche Gewalt und die extremste Form der geschlechterbasierten Gewalt gegen Frauen, den Femizid, heranziehen. Unter dem Themenkomplex der sogenannten häuslichen Gewalt versteht man die Gewalt, die Frauen in familiären oder partnerschaftlichen Kontext erfahren. Die Gewalthandlungen müssen dabei nicht in der eigenen Wohnung ausgeführt werden.

Weder die sogenannte häusliche Gewalt noch der Femizid stellen einen eigenen strafrechtlichen Tatbestand dar. Allerdings fallen viele Handlungen der sogenannten häuslicher Gewalt unter andere Straftatbestände, beispielsweise Beleidigung, Bedrohung, Körperverletzung, sexuelle Nötigung, sexueller Missbrauch, Sachbeschädigung, Freiheitsberaubung, Stalking, Totschlag oder Mord. Mit dem 2002 in krafttretenden Gewaltschutzgesetz, gibt es nun die Möglichkeit für die Betroffenen von Gewalt im partnerschaftlichen Kontext den Täter der gemeinsamen Wohnung zu verweisen und ein Näherungsverbot zu erwirken. Bei Verstoß wird gegen den Täter ein Ordnungsgeld oder ein strafrechtliches Verfahren eröffnet.

Die aktuelle Gesetzeslage hat zahlreiche Fallstrike. Zunächst fehlt für geschlechterbasierte Gewalt in den Gesetzestexten die Rahmung, da diese geschlechtsneutral formuliert werden. An dieser Stelle werden von geschlechterspezifischer Gewalt betroffenen Frauen nicht nur unsichtbar gemacht, vielmehr kann auch beispielsweise das Gewaltschutzgesetz aktiv gegen sie verwendet werden, wenn sie sich gegen ihren Unterdrücker aktiv zur Wehr setzen und die konkreten Gewalthandlungen gegen sich nicht mehr ertragen wollen.

Uns ist die normierende Wirkung von Gesetzen bewusst. Sicherlich spricht vieles für die Einführung des Straftatbestands des Femizids oder eines Paragrafen, der explizit geschlechtsbasierte Gewalt von Frauen im partnerschaftlichen und familiären Kontext unter Strafe stellt. Oft wird argumentiert, dass die von Frauen erlebte Gewalt besser angezeigt, prozessiert, statistisch ausgewertet und als gesellschaftlich als Problem anerkannt wird.

Jedoch möchten wir an dieser Stelle einwerfen, dass nur weil ein Straftatbestand vorhanden ist, dieser dann auch zur anzeige gebracht werden muss. Von Gewalt betroffene Frauen haben viele gute Gründe ihre Peiniger nicht anzuzeigen. Sei es, dass sie Sorge haben, dass ihnen nicht geglaubt wird, dass sie aus vorangegangenen Erfahrungen kein Vertrauen in die Arbeit der Polizei haben, oder vielleicht Aufenthaltsstatus unsicher oder gar illegalisiert ist. Wir dürfen nicht vergessen, dass ein nicht geringer Teil der Frauen sich nicht in ihrer Not an die Polizei wenden kann.

Gleichzeitig bedeutet das nicht, dass durch eine Änderung oder Verschärfung der Gesetzeslage konkrete Verbesserungen für von gewaltbetroffenen Frauen errungen werden oder gar die Gewalt eingedämmt wird. Schließlich sind die von Frauen erlebten konkreten Gewalthandlungen eingebettet in eine innerhalb unserer Gesellschaft geronnenen Gewaltstruktur, die Frauen systematisch benachteiligt und Abhängigkeitsverhältnisse innerhalb des Geschlechterverhältnisses fördert. Dies äußert sich folgendermaßen: Frauen verdienen nach wie vor immer noch deutlich weniger als Männer. Sie sind oft in schlechtem bezahltem Berufen des Carearbeitssektors tätig. Sie arbeiten oft Teilzeit und sind im Alter öfter von Altersarmut betroffen. Gleichzeit sind sie für einen großen Teil der unbezahlte Sorgearbeit in ihren Familien und Partnerschaften verantwortlich. Innerhalb unserer gesellschaftlichen Struktur werden Frauen also konkret benachteiligt und in eine Abhängigkeit zu ihrem männlichen Partner gedrängt. Dies hat sich auch nicht durch die Einführung von Gleichstellungsprojekten bei der Stadt, der Einführung von Straftatbeständen, wie dem Verbot der Vergewaltigung in der Ehe oder beruflichen Förderprogrammen für Frauen etwas geändert.

Denn sowohl die strukturelle als auch die konkrete Gewalt gegen Frauen kann innerhalb einer Gesellschaft, die kapitalistisch organisiert ist, nicht aufgelöst werden. Denn unsere kapitalistische Gesellschaft fußt auf der Gewalt gegen Frauen. Der Kapitalismus ist nämlich darauf angewiesen, dass ein großer Teil der Sorgearbeit umsonst oder möglichst kostengünstig verrichtet wird. Darum ist für das Bestehen des Kapitalismus eine Sozialisation der in ihm lebenden Individuen innerhalb einer binären Geschlechterordnung entscheidend. Sobald Frauen versuchen sich individuell aus diesen Verhältnissen zu befreien, sind sie nicht nur struktureller Gewalt, sondern auch konkreten Gewalthandlungen durch ihre meist männlichen Familienangehörigen, Expartner, Partner oder andere Männer bedroht. Damit sollen sie wieder auf ihren Platz in der Gesellschaft verwiesen werden. In Krisenzeiten nimmt geschlechterbasierte Gewalt gegen Frauen und Mädchen zu.

Darum sollte das Ziel von feministischer Bewegung keine Gesetzesreform sein. Ein Feminismus, der sich ernst nimmt, lässt sich nicht institutionalisieren. Darum stimmen wir nicht in den Chor der Forderungen nach Implementierung von neuen Gesetzen ein. Denn diese Gesetze regulieren höchsten die schlimmsten Auswüchse der Gewalt gegen Frauen, welche eine kapitalistische Gesellschaft hervorbringt. Eine grundlegende Veränderung wird durch sie nicht stattfinden. Um den Wunsch nach einem gewaltfreien Leben für Frauen und Mädchen zu verwirklichen, müssen wir eine Überwindung der kapitalistischen Organisation unserer Gesellschaft anstreben. Denn nur so können die unserer Gesellschaft geronnen Gewaltstrukturen aufgelöst werden.

Das können wir nicht vereinzelt erreichen. Vielmehr müssen wir uns kollektiv auf den Weg machen. Es ist einerseits wichtig über die täglich erlebte Gewalt zu sprechen und sie anzuprangern. Gleichzeitig sollten wir uns auch verständigen, wie die Gesellschaft aussehen soll, in der wir frei von Unterdrückung leben wollen. Dafür denken wir ist ein Zusammenkommen und Organisieren von großer Bedeutung. Darum denken wir, dass es besonders wichtig ist sich in Bündnissen, wie dem Bündnis für ein Ende der Gewalt zu organisieren. Lasst uns kollektiv für ein Ende der Gewalt an Frauen und Mädchen streiten. Lasst uns gemeinsam ein Ende aller patriarchalen Gewalt erkämpfen.