Redebeitrag 19.08.2020: Erinnerung – Gerechtigkeit – Aufklärung – Konsequenzen

An dieser Stelle dokumentieren wir unseren Redebeitrag anlässlich der Gedenkkundgebung am 19.08.2020 für die Opfer des rechten Terrors in Hanau.

Erinnerung – Gerechtigkeit – Aufklärung – Konsequenzen

Heute vor sechs Monaten, am 19. Februar 2020 wurden zehn Menschen Opfer von rechtem Terror. Wir gedenken Ferhat Ünvar, Mercedes Kierpacz, Sedat Gürbüz, Gökhan Gültekin, Hamza Kurtović, Kaloyan Velkov, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Said Nesar Hashemi. Sie alle wurden in einem rassistischen, rechtsterroristischen Anschlag auf eine Shisha-Bar und einen Kiosk in Hanau ermordet. Sie alle hinterlassen trauernde Freund*innen und Angehörige, deren Leben nie mehr so sein wird, wie vor dem Anschlag. Auch die Mutter des Täters, Gabriele R., wurde an diesem Tag ermordet.

Der Anschlag von Hanau reiht sich ein in deutsche Kontinuität rechten Terrors. Es ist wichtig zu erkennen, dass dieser Terror nicht in einem luftleeren Raum entsteht. Die bestehende Gesellschaft bringt ihn immer wieder hervor. Er entsteht unter anderem in der Folge von strukturellem Rassismus. Rassismus tötet, er kostet immer und immer wieder Menschen das Leben. Er lässt Menschen in Angst leben. Er entsteht durch die bewusste Kriminalisierung migrantischer Menschen durch die Cops, wenn beispielsweise Shishabars oder andere migrantisch wahrgenommene Betriebe gerazzt werden, wohingegen rechte Strukturen sich weiter unbehelligt von rechtlichen Konsequenzen entfalten können. Er wird sichtbar bei Cops, die tief verwickelt sind in rechte Netzwerke, die migrantische Menschen aus dem nichts verprügeln und selbst bei Kindern nicht zurückschrecken. Rechter Terror entsteht, wenn Behörden wie der Verfassungsschutz nicht nur auf dem rechten Auge blind sind, sondern rechten Terror durch Geld und Waffen möglich machen. Er entsteht durch eine Mehrheitsgesellschaft, die mit Rechten „reden“ will, als ob jenen mit Argumenten beizukommen wäre. Er entsteht, wenn ein Wirtschaftssystem auf die Abwertung von Menschengruppen angewiesen ist, wenn nach unten statt nach oben getreten wird. Er entsteht, wenn ein Großteil rechten Terrors nicht als solcher benannt wird und nicht aufgeklärt wird. Er entsteht, wenn kurz nach einem solchen Anschlag und nach pressewirksamen Mitleidsbekundungen wieder zum Status quo zurückgekehrt wird. Er entsteht, wenn nicht erkannt wird, dass wesentlichen Elemente rechter Ideologie, wie Rassismus, Antisemitismus und Misogynie ebenso wichtige Bestandteile des kapitalistischen Normalvollzugs sind. Es muss betont werden, dass rechter Terror die Spitze und die Konsequenz aus all dem ist.

Auch in Hanau war der Täter kein „psychisch kranker Einzeltäter“, wie es Gang und Gäbe ist nach rechten Terrorakten darzustellen. Der Täter hatte schon vor der Tat auf seiner Internetseite seine Ideologie verbreitet und seine Intention deutlich gemacht und war behördlich bekannt. Sein im Vorfeld veröffentlichtes Manifest strotzt von Rassismus, Antisemitismus und Misogynie. Alle drei Punkte sind wichtige Bestandteile neonazistischer und faschistischer Ideologie.

Kurz nach der Tat wurde gesamtgesellschaftlich Bestürzung und Mitgefühl bekundet, um dann jedoch allzu schnell die Kameras, Berichterstattungen und Politiker*innenbesuche in Hanau einzustellen. So fordern jetzt schon Politiker*innen der CDU eine vermeintliche Normalität und wollen den Gedenkort geräumt wissen. Der kurze gesellschaftliche Aufschrei auf den jedoch keine Konsequenzen folgen kann hierbei als Strategie bewertet werden, um sich nicht mit faschistischen und neonazistischen Strukturen in der Gesellschaft auseinandersetzen zu müssen und nicht erkennen zu müssen, dass alle Bestandteile dieser Ideologie auch Bestandteile der gesellschaftlichen Strukturen und des gesamtgesellschaftlichen Denkens sind.

Angesichts all dessen wird deutlich, es braucht umfassende und strukturelle Veränderungen um eine Tat wie in Hanau sich nicht wiederholen zu lassen. Um Hanau tatsächlich zur Zäsur werden zu lassen und nicht zu einer Station unter vielen. Hierfür braucht es konsequente migrantische und antifaschistische Organisierung und Selbstschutz ohne dabei die Verantwortung auf Migrant*innen abzuwälzen.

Wir schließen uns den Forderungen der Initiative 19. Februar an.

Wir fordern eine lückenlose Aufklärung der Tat. Wir fordern politische Konsequenzen.

Wir fordern Gerechtigkeit und Unterstützung. Wir fordern ein angemessenes Erinnern.

Unsere Solidarität mit den Angehörigen der Ermordeten und allen Betroffenen rechter Gewalt.

Unsere Feindschaft dem Faschismus und seinen Wegbereitern.

Kein Vergeben kein Vergessen.

Wir gedenken

Ferhat Ünvar

Mercedes Kierpacz

Sedat Gürbüz

Gökhan Gültekin

Hamza Kurtović

Kaloyan Velkov

Vili Viorel Păun

Fatih Saraçoğlu

Said Nesar Hashemi

Gabriele R.

Niemand ist vergessen